Wirtschaftskompetenz Schröder, die Rente und sein "Haufen"

BONN · Was könnte es für einen Elder Statesman Erfüllenderes geben? Hunderte Zuhörer lesen jedes Wort von den Lippen ab, während man gar nicht am Eigenlob vorbeikommt.

 "Nicht auf Erfolgen ausruhen": Altbundeskanzler Gerhard Schröder gestern Abend in Bonn.

"Nicht auf Erfolgen ausruhen": Altbundeskanzler Gerhard Schröder gestern Abend in Bonn.

Foto: Felix Heyder

Denn wie soll das für Gerhard Schröder gehen, den rot-grünen Kanzler von 1998 bis 2005, wenn er über die mit dem Namen Hartz verbundenen Arbeitsmarkt-Reformen erzählen soll? Er kann ja die eigene Rolle nicht verschweigen. Die Tatsache, dass seine Regierung gegen härteste Widerstände und in geradezu selbstmörderischer Manier jenes Gesetzespaket durchdrückte, das nach Ansicht vieler Experten den Grundstein legte für die glänzende wirtschaftliche Vorstellung, die Deutschland seit Jahren gibt. Aber das ist halt seine Vorstellung von "politischer Führung", wie er sagt: Dass man "mindestens das Risiko eingehen muss, nicht wiedergewählt zu werden".

Bescheidenheit ist eine Zier, ohne die Schröder bislang auch gut zurechtkam. So sitzt er am Montagabend mit unerschütterlicher Selbstgewissheit vor rund 250 Zuhörern im Bonner Universitätsforum. Es hätten auch 500 sein können, aber die Räumlichkeit ist limitiert. Eingeladen hat die BAPP, die vom alten SPD-Kumpel Bodo Hombach erfundene Bonner Akademie für Forschung und Lehre praktischer Politik. Die Haare grauer, die Züge verwettert, aber das alte Wolfslachen ist immer noch da. Langweilig zu sein, konnte man Schröder selten vorwerfen.

Die Agenda 2010 also, das Vermächtnis seiner Kanzlerschaft sozusagen. Kein Problem. Denn dass dieses umfassende Reformprogramm ein Erfolg war, ist mittlerweile Allgemeinwissen. Oder wie es der ehemalige Kanzleramtschef Hombach formuliert: "Die Agenda-Politik scheiterte in den Köpfen und triumphierte in der Realität."

Schröder selbst will zwar das Verdienst für den Erfolg nicht allein für sich reklamieren. Auch der starke Mittelstand habe seinen Beitrag geleistet, die "moderate Lohnpolitik der Gewerkschaften", die "starke Industriekultur" in Deutschland. Aber letztlich habe seine Regierung "das Ruder herum geworfen" und den "Reformstau der Kohl-Ära" beseitigt. Das heute zu bestaunende Ergebnis? "Deutschland steht wirtschaftlich und politisch wahrlich blendend da", so Schröder.

So weit, so erwartbar. Was der Altkanzler nicht sagt, hat es mehr in sich. Es wäre ein Leichtes, an diesem Abend für die im Bund bei 25 Prozent der Wählerstimmen feststeckende SPD ein wenig Werbung zu machen. Statt dessen empfiehlt er "meinem Haufen", wie er seine Partei ironisch nennt, bei der ökonomischen Kompetenz nachzuarbeiten. "Dann wird es auch wieder besser" mit der Wählersympathie, so Schröder. Wie hieß gleich der amtierende Wirtschaftsminister und Vizekanzler? Sigmar Gabriel, richtig. Der Name des SPD-Vorsitzenden fällt nicht.

Auch nicht der von Parteifreundin Andrea Nahles, der Arbeitsministerin. Aber zur Rentenpolitik der Regierung und zu Nahles' Prestigeprojekt, der Rente mit 63, fällt Schröder etwas ein. Die über 160 Milliarden Euro, die 63er Rente und Mütterrente kosteten, hätte man besser in Bildung und Forschung angelegt, meint der Altkanzler. "Wir dürfen uns nicht auf den Erfolgen der Vergangenheit ausruhen", mahnt er, und fordert genau das Gegenteil der Rentenpolitik von Parteifreundin Nahles: Nämlich eine "Flexibilisierung des Renteneintritts und langfristig eine Erhöhung des Rentenalters".

Moderator Andreas Tyrock, Chefredakteur der Essener Westdeutschen Allgemeinen Zeitung und früher beim General-Anzeiger in dieser Position, ist so höflich, Schröder nicht mit seinem Wort vom "lupenreinen Demokraten" Wladimir Putin zu konfrontieren. Aber ohne ein Wort zur Ukraine-Krise kommt Schröder nicht vom Podium. Auf ein mea culpa warten die Zuhörer allerdings vergebens. Dem Kreml-Chef empfiehlt Schröder lediglich, "seine Möglichkeiten zu nutzen", um den Frieden wieder herzustellen. Und dem Westen, Russland nicht mit immer schärferen Sanktionen zu drohen, sondern "verbal abzurüsten" und Putin mit einer Lockerung der Sanktionen zu locken.

Wenige Tage vorher hatte übrigens Schröders Ex-Außenminister Joschka Fischer in Köln zum heiklen Verhältnis zwischen Altkanzler und Kreml-Chef eine deutliche Meinung geäußtert. Ob Schröder als Kanzler sich in Putin geirrt habe, wurde Fischer beim Literaturfest lit.Cologne gefragt. Antwort: "Ob er sich geirrt hat, müssen Sie ihn fragen - aber er irrt."

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