SPD-Spitzenkandidat in Hessen Schäfer-Gümbel kämpft mit dem Rücken zur Wand

BERLIN · Für den SPD-Spitzenkandidaten geht es am Sonntag auch darum, nicht zum dritten Mal eine Landtagswahl zu verlieren. Sollte die Partei erneut abstürzen, droht Parteichefin Andrea Nahles eine Debatte über den Groko-Ausstieg.

Schichtarbeit. Zumindest im Wahlkampf. Wer gewinnen will, muss früh aufstehen. Es ist kurz nach fünf Uhr morgens. Am Tor des VW-Werkes im hessischen Baunatal steht Thorsten Schäfer-Gümbel und verteilt Infomaterial nebst Kugelschreiber. Dass der SPD-Spitzenkandidat im hessischen Wahlkampf das Arbeitermilieu nicht scheut, hatte er schon im Mai vergangenen Jahres demonstriert. Da arbeitete Schäfer-Gümbel eine komplette Frühschicht in der E-Motoren-Fertigung des Baunataler VW-Werkes mit. Elektromobilität ist in Zeiten von Diesel-Krise, Software-Trickserei und geschummelter Abgaswerte ein Thema. Erst recht im Wahlkampf. Schäfer-Gümbel versucht nach zwei gescheiterten Versuchen 2009 und 2013 nun ein weiteres Mal, Ministerpräsident in Hessen zu werden.

Bei einem weiteren Fehlversuch hieße es wohl: Ende der Schicht. Dass diese Wahl weit über Hessen hinaus wirkt, treibt die SPD seit Wochen um. Schon ist von Schicksalswahl die Rede, denn bei den Genossen dürften die Groko-Gegner erneut für einen Ausstieg aus dem ungeliebten Regierungsbündnis mit der Union trommeln, sollte die Hessen-Wahl auch nur annähernd so desaströs verloren gehen wie die Landtagswahl vor zwei Wochen in Bayern. Im Freistaat war die SPD von den Wählern um mehr als die Hälfte geschrumpft worden. Auch Schäfer-Gümbel kämpft mit dem Rücken zur Wand. Fragen nach seiner politischen Zukunft im Land, sollte die Wahl für ihn verloren gehen, lässt er aktuell selbstredend unbeantwortet: alles Spekulation.

Von einer Schicksalswahl will die SPD-Chefin nicht reden

Das Verhältnis zwischen Schäfer-Gümbel und CDU-Spitzenkandidat Volker Bouffier gilt als angespannt. Grünen-Spitzenkandidat Tarek Al-Wazir und Schäfer-Gümbel empfinden sich zumindest nicht als Gegner. Mit Linken und FDP pflegt Schäfer-Gümbel ein professionelles Verhältnis. Bleibt nur die Frage: Ist Schäfer-Gümbel am Montag nach der Wahl in der Position, die politischen Mitbewerber zu Sondierungsgesprächen einzuladen – oder wird er eingeladen?

Alles, bloß kein weiteres Debakel, hoffen sie nach der Erfahrung bei der Bayern-Wahl auch im Willy-Brandt-Haus. Im Falle eines weiteren Erdrutsches könnte in der SPD-Zentrale vieles in Bewegung geraten. Die SPD-Bundesvorsitzende Andrea Nahles, erst im April von den Delegierten eines Sonderparteitages an die Spitze gewählt, muss nach dem Desaster in Bayern damit rechnen, dass sowohl der Verbleib ihrer Partei in der Groko wie auch ihr Posten als Parteichefin in Frage gestellt werden könnten. Dann könnten Groko-Gegner erneut mobil machen – und dieses Mal weitere Mitstreiter für einen Ausstieg aus der Koalition mit der Union im Bund finden.

Schicksalswahl? So weit will Nahles ganz bewusst nicht gehen, denn damit würde sie die Hessen-Wahl gewissermaßen auch zur Wahl über ihre eigene politische Zukunft erklären. „Ich sehe das nicht als Schicksalswahl für mich. Und auch nicht als Schicksalswahl insgesamt.“ Welche Dynamik am Tag nach der Hessen-Wahl einsetzt? Ob die Groko in Berlin bestehen bleibt? Sie könne überhaupt nichts garantieren, aber wenn sie wetten würde auf die Koalition im Bund, „würde ich sagen: Ja“. Was soll sie auch sagen? Nahles kann ja schlecht auf ihr eigenes Schichtende wetten.

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