Bahnlärm vor der Haustür Rote Signale für alternative Güterzug-Trasse am Mittelrhein

Berlin/Mainz · Das Obere Mittelrheintal ist ein Welterbe mit extremem Bahnlärm. Anwohner ziehen weg, Immobilienpreise sinken, Hotels leiden. Seit Langem ist eine milliardenschwere Entlastungsstrecke im Gespräch. Doch nun spricht ein Ministerium vom "Todesstoß" für das Projekt.

Zu den landschaftlich schönsten Bahnfahrten der Republik zählt ein Trip durch das Unesco-Welterbe Oberes Mittelrheintal. Romantische Dörfer, steile Weinberge und zahlreiche Burgen ziehen vor den Waggonfenstern vorbei.

Anwohner und Touristen in dem schalltrichterartigen Flusstal leiden jedoch unter dem extremen Bahnlärm - viele fliehen. Die rechtsrheinischen Gleise sind laut Deutscher Bahn Teil von Europas meistbefahrener Güterzugstrecke Genua-Rotterdam. Seit langem wird daher über eine Entlastungstrasse diskutiert. Doch nun scheint Berlin die Signale auf Rot zu schalten.

Denn eine Güterzug-Alternativtrasse würde sich nach Aussage des Bundes erst nach etwa einer Verzehnfachung der Zugzahlen lohnen. Das von dieser Aussage überraschte rheinland-pfälzische Verkehrsministerium befürchtet daher nach eigener Darstellung den "Todesstoß für die alternative Güterverkehrsstrecke". Eine Ministeriumssprecherin sagte der Deutschen Presse-Agentur: "Denn weder das Mittelrheintal noch die zuleitenden Strecken südlich und nördlich könnten ohne massive Investitionen in die Erweiterung der Infrastruktur eine Verzehnfachung des Verkehrs überhaupt aufnehmen." Der Mainzer Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) sagt: "Ich habe den Eindruck, dass der Bund die alternative Güterverkehrsstrecke nicht will. Wenn dem so ist, dann soll der Bund das auch klar sagen."

Schon jetzt rattern laut Wissings Ministerium jeden Tag durchschnittlich mehr als 400 Personen- und Güterzüge auf beiden Uferbahnstrecken aus dem 19. Jahrhundert durch das Obere Mittelrheintal. Nach Angaben der Bürgerinitiative "Oberwesel 22 - Zukunft trotz Bahn" werden für 2030 sogar 500 bis 600 Züge täglich vorausgesagt. Laut Bundesverkehrsministerium wäre somit ein wirtschaftlicher Handlungsbedarf erst bei 5000 bis 6000 Zügen pro Tag erreicht, rechnet Bürgerinitiativen-Chef Harald Steppat vor. "Das heißt alle 15 Sekunden ein Zug im Mittelrheintal - rund um die Uhr!"

Staatssekretär Enak Ferlemann (CDU) vom Bundesverkehrsministerium hat dem Vorsitzenden der CDU-Landesgruppe Rheinland-Pfalz im Bundestag, Patrick Schnieder, geschrieben: "Um den Bau einer Neubaustrecke für den Güterverkehr wirtschaftlich begründen zu können, müsste sich das Verkehrsaufkommen des Personen- und Güterverkehrs auf der Schiene im Mittelrheintal deutlich, etwa um den Faktor 10, über die bis 2030 prognostizierten Zugzahlen hinaus erhöhen." Wann das soweit sei, könne noch nicht belastbar eingeschätzt werden, ergänzt der Bahnbeauftragte der Bundesregierung in seinem Schreiben vom 7. Januar 2019, das der dpa vorliegt. Ein Versehen? Nein. Auf Nachfrage beruft sich das Bundesverkehrsministerium in Berlin mit Blick auf seinen "Faktor 10" auf ein noch unveröffentlichtes Gutachten.

Das diskutierte milliardenschwere Tunnelsystem als Alternativtrasse für Güterzüge zwischen dem nordrhein-westfälischen Troisdorf und dem hessischen Bischofsheim hat es im Bundesverkehrswegeplan nicht in die Kategorie des vordringlichen Bedarfs geschafft. Laut Bundesverkehrsstaatssekretär Ferlemann sollen unabhängig von der Wirtschaftlichkeit "im Zuge einer Machbarkeitsstudie bereits jetzt Vorplanungsprozesse für das Projekt vorbereitet werden". Sein Ministerium lege zunächst den Untersuchungsrahmen der Studie fest. Zu deren genauem zeitlichen Ablauf "kann gegenwärtig jedoch noch keine Auskunft geben werden". Steppat zufolge wäre ein Westerwald-Taunus-Bahntunnelsystem mehr als 100 Kilometer lang - ein gewaltiges Bauprojekt.

Patrick Schnieder, der auch Parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag ist, hat in einem der dpa vorliegenden Schreiben vom 29. November 2018 an das Bundesverkehrsministerium einen unverzüglichen Start der Machbarkeitsstudie angemahnt. "Nur durch diese Neubaustrecke wird das gesamte Mittelrheintal von Bonn bis Mainz von den unerträglichen Folgen des Güterverkehrs für die Gesundheit, aber auch den Tourismus und andere Wirtschaftszweige sowie dem Wertverlust der Immobilien befreit", betont Schnieder.

Er kritisiert auch die Entscheidung des Bundesverkehrsministeriums, die drei linksrheinischen historischen Bahntunnel gegenüber dem Loreley-Felsen doch nicht durch einen Neubau zu ersetzen, weil eine rechtsrheinische Alternativtrasse laut diesem Ministerium "effektiver die Bedürfnisse nach Lärmschutz" erfülle. Schnieder rügt: "Das ist nicht schlüssig, da die Neubaustrecke im Moment nicht im vordringlichen Bedarf eingestuft ist." Laut Steppat verlaufen die drei Tunnel mit denkmalgeschützten Portalen in instabilem Schiefergestein. Nun sollen sie im laufenden Betrieb saniert werden.

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