Kommentar über den Streit in der großen Koalition Reibungsenergie

Meinung | Bonn · Die Angst darüber, dass SPD und Union sich immer weiter annähern scheint unbegründet geworden zu sein. "Gut so", kommentiert Nils Rüdel.

Bis vor Kurzem noch schien die Bundespolitik wie eingeschläfert. Es galt zurecht als große Sünde von Union und SPD, sich zu ähnlich geworden zu sein. Zu viel Harmonie und zu wenig Unterscheidbarkeit wurden mit Stimmenverlusten und dem Aufstieg der Radikalen bestraft.

Jetzt, wenige Tage nach dem Start der großen Koalition, haben Horst Seehofer und Jens Spahn den ersten größeren Streit vom Zaun gebrochen – und schon beten manche Beobachter vor Schreck drei Vaterunser. Die Koalition! Der Anfang vom Ende!

Zwar ist es recht durchsichtig, welche Motive den CSU-Chef und den CDU-Gesundheitsminister mit all ihrer Medienerfahrung leiten. Seehofer hat die Bayern-Wahl vor der Stirn und spürt die AfD im Nacken, weshalb er meint, ein wenig über den Islam und Schlagbäume zur Flüchtlingsabwehr schwadronieren zu müssen. Auch Spahn, der sich als Galionsfigur der Konservativen in der Union inszeniert, glaubt, mit provokanten Aussagen über Armut und Hartz IV oder über Abtreibung ein paar Punkte machen zu können.

Vielleicht führen die Debatten zu nichts. Dennoch: Wenn denn im Wahlvolk und in den Parteien die Sehnsucht nach Unterscheidbarkeit so groß ist – bitteschön, hier ist sie. Vor allem die auf der Suche nach Profil herumirrende SPD sollte sich freuen.

Debatten dieser Art wird es noch viele geben in der großen Koalition, dafür werden Seehofer und Spahn schon sorgen. Gleichzeitig hat Angela Merkels sedierender Politikstil ausgedient. Gut so. Streit macht Politik interessant. Er sorgt für jene Reibungsenergie, die die Bundespolitik so nötig hat.

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