Die Stadtchefin, die sich verzockte Porträt der ehemaligen Pforzheimer Oberbürgermeisterin Christel Augenstein

Bonn · Die ehemalige Pforzheimer Oberbürgermeisterin Christel Augenstein steht vor Gericht. In dem Prozess vor der Wirtschaftskammer des Landgerichts Mannheim geht es um Untreue zulasten der hoch verschuldeten Stadt in Baden-Württemberg.

 Die frühere Oberbürgermeisterin von Pforzheim, Christel Augenstein (FDP).

Die frühere Oberbürgermeisterin von Pforzheim, Christel Augenstein (FDP).

Foto: dpa

Eigentlich hat sie damals, vor der Schuldenkrise, nichts anderes getan als viele Oberhäupter anderer klammer Kommunen auch: Versucht, durch Geschäfte am Finanzmarkt die finanzielle Lage ihrer Stadt zu verbessern. Doch Christel Augenstein, ehemalige Oberbürgermeisterin der 120 000-Einwohner-Stadt Pforzheim, steht seit gestern vor Gericht. An der Seite der FDP-Frau, die schon seit 2009 nicht mehr im Amt ist: die damalige Stadtkämmerin Susanne W. und deren Stellvertreterin sowie zwei Bankmitarbeiter. In dem Prozess vor der Wirtschaftskammer des Landgerichts Mannheim geht es um Untreue und Beihilfe zur Untreue zulasten der hoch verschuldeten Stadt in Baden-Württemberg.

Die Anklage gegen Augenstein und ihre Mitbeschuldigten bezieht sich auf die Zeit von März 2004 bis Februar 2008. Die Beschuldigten hätten für die Stadt „ein modernes Schuldenmanagement mit dem Ziel der günstigen Streuung der Risiken sowie der Reduzierung der Zinslast“ aufbauen wollen, wie es in der Klageschrift heißt. Zu diesem Zweck kauften Augenstein und ihre Kämmerin Swaps, komplexe und spekulative Wertpapiere, die auf steigende oder fallende zukünftige Zinssätze setzen.

Der Knackpunkt bei den Geschäften: Der Pforzheimer Gemeinderat wusste von den Swap-Käufen nichts. Und mit Beginn der Finanzkrise vor zehn Jahren explodierten die Papiere, weil sich die Zinssätze in der Folgezeit ganz anders entwickelten als erwartet. Als der Pforzheimer Gemeinderat 2010 bei den Geschäften die Reißleine zog, standen jedenfalls Verluste von annähernd 60 Millionen Euro für die Stadtkasse zu Buche. Immerhin gelang es der Stadt, durch Vergleiche mit den beteiligten Banken einen großen Teil des Geldes wieder hereinzuholen.

Den Angeklagten drohen hohe Haftstrafen

Die Anklage warf Augenstein und den Mitbeschuldigten zu Prozessbeginn unbefugtes Verhalten vor. Der Gemeinderat sei bei den Geschäften bewusst außen vor gelassen worden, entsprechende Anfragen seien abgewiegelt worden. Aus dem angestrebten modernen Schuldenmanagement sei schließlich eine „Schadensvertiefung“ entstanden. In dem Prozess wird es aber auch darum gehen, ob Augenstein und ihre Mitarbeiterinnen die Geschäfte und ihre möglichen Risiken richtig eingeschätzt haben und ob sie dazu überhaupt in der Lage waren. Folgt das Mannheimer Gericht unter dem Vorsitz von Richter Andreas Lindenthal den Anschuldigungen, drohen den Angeklagten lange Haftstrafen.

Wegen der komplexen Materie hat das Gericht 27 Verhandlungstermine bis zum 18. Januar 2018 angesetzt. Vor Gericht vertreten wird Augenstein übrigens von ihrem Parteifreund Wolfgang Kubicki, der zuletzt als FDP-Spitzenkandidat in Schleswig-Holstein mit seiner Partei über elf Prozent der Wählerstimmen gewann. Kubicki zeigte sich von der Unschuld seiner Mandantin naturgemäß überzeugt. „Ich habe keine Zweifel, dass die Angeklagten für die Stadt nur das Beste wollten“, meinte er.

Für die FDP-Politikerin Augenstein bedeutete die Swap-Affäre das Ende ihrer kommunalpolitischen Laufbahn. Die ehemalige Finanzbeamtin und Steuerbevollmächtigte, ab 1990 im Pforzheimer Gemeinderat aktiv, war 2001 mit 53 Prozent der Stimmen zur OB gewählt worden. Sie war die erste Frau an der Spitze der Pforzheimer Verwaltung und zu der Zeit die einzige Liberale, die eine deutsche Großstadt regierte. 2009 trat sie zur Wiederwahl an, scheiterte aber in der Stichwahl an ihrem SPD-Kontrahenten Gert Hager. Wegen der Swap-Affäre durchsuchte die Polizei im November 2009 ihre Privatwohnung.

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