28 Jahre nach der Einheit Ostbeauftragter gegen Ost-Bashing: "Menschen ernst nehmen"

Berlin · Wirtschaftlich holt der Osten weiter auf, sagt der Ostbeauftragte der Bundesregierung. Dies werde aber derzeit überlagert. Das Ziel seien nach wie vor gleichwertige Lebensverhältnisse - darum geht es auch in einer neuen Kommission.

 Frachtflugzeuge von DHL auf dem Flughafen Leipzig/Halle: Die Region boomt und hat manche westdeutsche Standorte bei der Wirtschaftskraft überholt.

Frachtflugzeuge von DHL auf dem Flughafen Leipzig/Halle: Die Region boomt und hat manche westdeutsche Standorte bei der Wirtschaftskraft überholt.

Foto: Jan Woitas

"Viele Menschen im Osten sehen sich als Bürger zweiter Klasse, als abgehängt." Sagt der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Wirtschafts-Staatssekretär Christian Hirte. Es ist ein zwiespältiger Befund zur Lage im Osten, den der CDU-Politiker in Berlin vorlegt.

Es gebe wirtschaftliche Fortschritte, aber immer noch große Unterschiede zum Westen. Viele Ostdeutsche hätten das Gefühl, dass ihre Probleme nicht richtig wahrgenommen würden. Die Politik müsse mehr zuhören und den Dialog mit den Bürgern suchen. Antworten geben soll auch eine neue Kommission - auf die Frage, wie gleichwertige Lebensverhältnisse in Deutschland erreicht werden können.

Beim Aufbau Ost sei zwar viel erreicht worden, heißt es im Jahresbericht zum Stand der Einheit. 28 Jahre nach der Wiedervereinigung hätten sich die Lebensverhältnisse im Osten denen im Westen weiter angenähert. Es gebe Boomregionen wie Jena und Leipzig, denen es gelungen sei, westdeutsche Regionen bei der Wirtschaftskraft zu überholen.

Der Arbeitsmarkt im Osten habe sich positiv entwickelt, der Osten sei stark bei der Erforschung von Schlüsseltechnologien. Und nahezu die Hälfte aller Beschäftigten seien Frauen, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sei im Osten deutlich einfacher möglich.

Die wirtschaftlichen Erfolge beim Aufholprozess im Osten aber würden derzeit überlagert von gesellschaftlichen Debatten, sagte Hirte. Er verurteilte fremdenfeindliche Übergriffe in Ostdeutschland - warnte aber zugleich vor einer "Stigmatisierung" des Ostens. "Wir müssen aufpassen, nicht ganze Regionen in Misskredit zu ziehen."

Die Probleme im Osten seien unbestreitbar, sie würden aber zum Teil verzerrt dargestellt. Die Medien hätten über Ausschreitungen in Köthen und Chemnitz größer berichtet als über solche etwa in Dortmund. "Die mediale Wahrnehmung überspitzt das Problem im Osten." Die übergroße Mehrheit der Ostdeutschen habe mit "rechtsradikalen Spinnern" nichts zu tun.

Hirte sagte zugleich, die Umbrucherfahrungen der Menschen im Osten nach dem Mauerfall hätten Spuren hinterlassen. Viele Ostdeutsche hätten das Gefühl, dass diese Erfahrungen und ihre Probleme nicht richtig wahrgenommen würden.

Weiterhin gibt es deutliche Unterschiede zwischen Ost und West, wie es im Einheitsbericht heißt: "Und die Menschen im Osten spüren das." Beim Lohnniveau und der Wirtschaftskraft liege der Osten im Vergleich zum Westen weiter zurück. Es mangele nach wie vor an Konzernzentralen großer Unternehmen. Der Strukturunterschied schlage sich in geringeren Forschungs- und Innovationsaktivitäten sowie in einer weniger ausgeprägten Internationalisierung der Firmen nieder. "Niedrigere Produktivität und fehlende Spitzengehälter treten hinzu."

Der Anfang der 1990er-Jahre erfolgte, teilweise "dramatische Rückgang" der Kinderzahl und die damals starke Abwanderung vor allem junger, gut qualifizierter Menschen habe langfristige Nachwirkungen, heißt es weiter. Trotz eines Anstiegs der Geburtenrate nehme die Einwohnerzahl, insbesondere die Zahl der Erwerbsfähigen, weiter ab. Die Alterung schreite schneller voran als in den westdeutschen Ländern. "Das beeinflusst die Angleichung der Wirtschaftskraft und der Lebensverhältnisse auf vielfältige Weise."

Ziel der Bundesregierung aber sind gleichwertige Lebensverhältnisse in ganz Deutschland. Das Bundeskabinett setzte dazu eine Kommission ein. Dabei solle es auch um Demokratieförderung gehen, sagte Familienministerin Franziska Giffey. Es sei wichtig, dass die Kommission nicht nur Infrastruktur und Daseinsvorsorge in den Blick nehme, sondern auch die "Stellen in unserem Land, wo die Demokratie in Gefahr ist", sagte die SPD-Politikerin nach der konstituierenden Sitzung der Kommission.

Die Kommission unter Vorsitz von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) soll Vorschläge für eine gerechtere Verteilung von Ressourcen für alle Menschen in Deutschland erarbeiten. Co-Vorsitzende sind Giffey und Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU). Ein Abschlussbericht soll 2020 vorliegen. Eine ihrer sechs Arbeitsgruppen befasst sich mit "Wirtschaft und Innovation". Diese Gruppe muss schon 2019 Vorschläge liefern.

Seehofer sagte, "dass wir keine falschen Versprechungen machen wollen". Der saarländische Regierungschef Tobias Hans (CDU) sagte, dass der Wohlstand zwar insgesamt immer größer werde, die Unzufriedenheit der Bürger aber auch. "Da muss man feststellen, dass da etwas nicht ankommt bei den Menschen."

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