Untersuchungsausschüsse in Deutschland "Oft eine politische Waffe"

Bonn · Amri, Diesel, NSA - Untersuchungsausschüsse stehen im Fokus der Öffentlichkeit. Allein im Bundestag suchen derzeit fünf Ausschüsse nach der Wahrheit. Aber nutzt sich das Instrument langsam ab?

Notwendige Aufklärung oder Stimmungsmache im Wahlkampf? Die Einschätzungen über den knapp zwei Monate vor der letzten Sitzung des NRW-Landtages einberufenen Untersuchungsausschuss zum Terrorfall Anis Amri gehen weit auseinander.

„In den letzten Jahren ist der Drang stärker geworden, Untersuchungsausschüsse als politische Waffe der Opposition einzusetzen“, hat Werner J. Patzelt, Professor für Politikwissenschaft an der TU Dresden, festgestellt. Dabei sei das nur eine Funktion des Untersuchungsausschusses neben der parlamentarischen Regierungskontrolle. „Die Forderung nach einem Untersuchungsausschuss ist oft Teil der Strategie, öffentliche Aufmerksamkeit herzustellen – vor allem in Wahlkampfzeiten“, so der Politikwissenschaftler. Darunter könne die Wirksamkeit dieses Kontrollinstruments leiden. Patzelt rät der Politik zu mehr Selbstbeschränkung.

Mit fünf laufenden Untersuchungsausschüssen wird das Instrument in Düsseldorf derzeit besonders intensiv eingesetzt. Zum Vergleich: In den vorhergehenden Wahlperioden waren es jeweils zwei Untersuchungsausschüsse. Von den fünf Ausschüssen neigen sich jedoch drei dem Ende zu, während die Untersuchungen zum Fall Amri schnell starten: „Der Ausschuss muss diese Woche noch seine Arbeit aufnehmen, alle Akten binnen 14 Tagen nach Anforderung vorgelegt bekommen und dann zügig mit den Zeugenbefragungen beginnen“, forderte NRW-Oppositionsführer Armin Laschet (CDU). Er sei notwendig geworden, „weil eine ehrliche und transparente Aufarbeitung von dieser Landesregierung aus eigenen Antrieb nicht mehr erwartet werden kann“.

Fünf Ausschüsse im Bundestag

Die regierende SPD weist auf den kurzen Zeitraum bis zur Landtagswahl am 14. Mai dieses Jahres hin. In der Regel dauert es Monate, bis ein Untersuchungsausschuss sich ein Bild der Lage verschafft hat. Zeugen müssen geladen, Akten studiert werden. Nach der Wahl könne der Ausschuss zudem aus rechtlichen Gründen nicht weitergeführt werden, heißt es bei der NRW-SPD. Er müsse dann neu eingesetzt werden.

Im Bundestag suchen derzeit fünf Untersuchungsausschüsse nach der Wahrheit: Sie beschäftigen sich mit der NSA-Spionageaffäre, der rechtsradikalen Terrorgruppe NSU, dem Kinderpornografie-Skandal um den SPD-Abgeordneten Sebastian Edathy, den Steuertricks von Banken (Cum/Ex-Geschäfte) und der VW-Dieselaffäre. Damit liegt der Bundestag bei der Zahl der Untersuchungsausschüsse in etwa auf dem Niveau der vorangegangenen Wahlperiode. Zwischen 2009 und 2013 beschäftigten sich die Parlamentarier mit vier Themenbereichen, unter anderem dem Bundeswehreinsatz im afghanischen Kundus.

Wichtiges Kontrollinstrument

Der im Grundgesetz verankerte Untersuchungsausschuss gilt als besonders wirksames Kontrollinstrument der Regierung durch die Opposition, da ihn auch eine Minderheit einfordern kann. Ab einem Viertel der Abgeordnetenstimmen ist die Regierung verpflichtet, ein Thema durch einen Untersuchungsausschuss zu beleuchten.

Und der hat weitgehende Befugnisse: Der Ausschuss kann das Erscheinen von Zeugen sogar rechtlich erzwingen. Besetzt wird das Gremium gemäß der Fraktionsstärke im Parlament. Wenn es um militärische Fragen geht, tritt der Untersuchungsausschuss im Bundestag in einer Sonderform zusammen: Dann wird er aus Mitgliedern des Verteidigungsausschusses besetzt.

Politikwissenschaftler Patzelt sieht den Terrorfall Amri und die rechtsextreme NSU als klare Fälle von Behördenversagen, in denen Untersuchungsausschüsse zur Aufarbeitung notwendig seien. Für politisch motiviert hält er den Ausschuss zur deutschen Visavergabe in der Ukraine im Jahr 2004: „Da wollte man Außenminister Joschka Fischer eins auswischen.“

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