Interview "Offenbar haben wir die Schere schon im Kopf"

Der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach hält die Entscheidung des Festkomitees, den Charlie-Hebdo-Wagen nicht im Rosenmontagszug fahrenzulassen für "ein Einknicken vor radikalen Kräften".

Mit Bosbach sprach Norbert Wallet.

Sie sind ausgewiesener rheinischer Karnevalist. Wie empfinden Sie die Entscheidung des Festkomitees?

Wolfgang Bosbach: Ich kann ja verstehen, dass das Festkomitee die eine Million Besucher des Rosenmontagszugs keinerlei Gefahren aussetzen will, und dass man ein fröhliches unbeschwertes Fest feiern will. Dennoch halte ich die Entscheidung für sehr problematisch. Sie bedeutet ein Einknicken vor radikalen Kräften.

Wie beurteilen Sie das Motiv des Festwagens?

Bosbach: Dieser Wagen war sicher keine Sympathie-Erklärung für alle Karikaturen von Charlie Hebdo. Man kann ja darüber streiten, ob die alle immer geschmackvoll waren. Aber das Wagenmotiv war doch ein Plädoyer für Meinungs-, Presse- und Demonstrationsfreiheit. Die Botschaft hieß: Wir lassen uns von Gewalttätern nicht einschüchtern und in unseren Freiheiten einschränken. Umso überraschender ist für mich die Entscheidung. Kein Muslim hätte zu Recht sagen können, dass es sich hier um einen Angriff auf seine religiösen Gefühle handele. Offenbar haben wir die Schere schon im Kopf. Wer sich mit der katholischen Kirche anlegt, der braucht nicht mutig zu sein. Beim Islam sieht das schon anders aus.

Hätten Sie einen Wagen für unangemessen gehalten, der den Propheten Mohammed in irgendeiner Weise lächerlich darstellt?

Bosbach: Der Mainzer Sitzungskarneval war schon immer hoch politisch. Und im Kölner Rosenmontagszug hat es immer schon Wagen gegeben, die politische Entscheidungen karikiert und vermeintliche oder tatsächliche Missstände aufgespießt haben. Aber der Rosenmontagszug diente natürlich nie dem Zweck, religiöse Gefühle zu verletzen. Und wer auf die Gefahren des islamistisch motivierten Terrorismus hinweist, will keine religiösen Gefühle verletzen. Die Grenze in Deutschland ist eindeutig - es ist das Strafrecht. Keine Institution in Deutschland darf sich anheischig machen, darüber zu entscheiden, ob eine Karikatur gezeigt werden darf. Nur das Strafrecht gibt den Rahmen vor. Innerhalb dessen müssen Kabarettisten und Karnevalisten in eigener Verantwortung entscheiden, warum sie zu welchem Stilmittel greifen.

Trotzdem muss man ja nicht all das tun, was man tun darf.

Bosbach: Ja. Aber dieser kluge Gedanke betrifft die Eigenverantwortlichkeit - zum Beispiel des Veranstalters eines Karnevalsumzugs oder einer Zeitungsredaktion. Es ist eben ein großer Unterschied, ob man sich zurückhält, weil man die Gefühle anderer Menschen nicht verletzen will, oder weil man gewalttätige Reaktionen befürchtet. Was mich seit Jahren beschwert: Einerseits scheint es kein Problem zu sein, die Gefühle von Christen zu verletzen. Da heißt es dann: Die müssen das aushalten. Aber wenn es um die Gefühle von Muslimen geht, da soll man sich dann doch besser zurückhalten, bevor es schweren Ärger gibt.

Aber das Christentum hat eben auch ganz objektiv eine andere Toleranzgrenze, weil es Aufklärung und Säkularisation erlebt und den Umgang mit Kritik eingeübt hat.

Bosbach: Das stimmt historisch. Der Islam kennt keine Aufklärung und keine Reformation. Aber die Muslime, die bei uns leben, müssen unsere Tradition und unsere Rechts- und Werteordnung kennen. Und sie müssen wissen, dass bei uns Religion nicht außerhalb jeglicher Kritik steht. Gerade dann, wenn sich Täter zur Begründung ihrer Taten auf ihre religiöse Überzeugung berufen, muss sich doch diese Religionsgemeinschaft einmal fragen, wie man dieser Entwicklung Halt gebieten kann. Stattdessen wird die Aufnahmegesellschaft immer gefragt, was denn in Deutschland schiefgelaufen sei, dass junge Männer so radikalisiert werden konnten. In erster Linie sollte man doch fragen, wie es sein kann, dass sie sich zur Begründung ihrer Taten auf religiöse Überzeugungen berufen.

Zur Person

Der 62-jährige Wolfgang Bosbach ist seit 20 Jahren im Bundestag, derzeit Vorsitzender des Innenausschusses. Der verheiratete Vater dreier Töchter sagt von sich, er sei mit dem Karneval groß geworden. Erstmals aufgetreten sei er bei der Messdienersitzung seiner Heimatpfarrei in Bergisch Gladbach. Später war er auch mal Prinz.

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