Interview mit Linken-Kandidatin Özlem Alev Demirel: "Druck von den Linken funktioniert"

Bonn · Özlem Alev Demirel, Spitzenkandidatin der Linken für die Europawahl spricht im Interview über den europaweiten Mindestlohn, Steuern und Kevin Kühnert. Zudem sagt sie, um was es für sie in Europa geht.

 Auf Wahlkampftour in der Bonner Innenstadt: Özlem Alev Demirel.

Auf Wahlkampftour in der Bonner Innenstadt: Özlem Alev Demirel.

Foto: Benjamin Westhoff

Frau Demirel, wie ist es, zurück nach Bonn zu kommen?

Özlem Alev Demirel: Ich habe hier studiert und bin immer wieder gern in der Stadt. Damals habe ich nicht wenig Zeit im Hofgarten oder im Hauptgebäude der Uni verbracht. 2010 bin ich dann in den Landtag von Nordrhein-Westfalen eingezogen und schnell Parlamentarische Geschäftsführerin geworden, habe aber auch noch mein Studium abgeschlossen.

2017 waren Sie Spitzenkandidatin für die Landtagswahl in NRW, wo Die Linke knapp an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert ist. Jetzt kandidieren Sie für das Europaparlament. Warum?

Demirel: Weil sich etwas ändern muss in der Politik der Europäischen Union. Gemeinsam mit vielen Menschen aus unterschiedlichen Ländern und Kulturen will ich mich für eine sozial-ökologische Wende einsetzen. Und als Tochter einer politischen Flüchtlingsfamilie will ich dafür kämpfen, dass endlich damit aufgehört wird, Waffen in alle Welt, insbesondere in Krisenregionen, zu verkaufen.

In der Vergangenheit haben Sie sich häufig kritisch über die EU geäußert. Ist es da nicht ein Widerspruch, dass Sie jetzt für das Parlament kandidieren?

Demirel: Nein, denn es geht uns um Werte wie Aufklärung und Humanität, wir wollen ein soziales und solidarisches Europa. Mit abstrakten Bekenntnissen nach dem Motto „Europa ist die beste Idee, die Europa je hatte“ kann ich nichts anfangen. Was heißt das denn? Weitermachen wie bisher? Weiter mit Steuerdumping, weiter mit Lohndumping, weiter mit der Aufrüstung? Das wollen wir nicht, und wir machen als Linke konkrete Vorschläge.

Welche denn zum Beispiel?

Demirel: Derzeit gibt die EU 6,5 Milliarden Euro für den Bau panzerfester Straßen und Brücken in den Mitgliedstaaten aus. Wir möchten dieses Geld lieber in Schienensysteme, in den öffentlichen Personennahverkehr und für die Umwelt investieren. Und wir fordern europaweit armutsfeste Mindestlöhne, eine Digitalsteuer und Mindestregeln für die Konzernbesteuerung.

Für den europaweiten Mindestlohn setzt sich auch die SPD ein, die auch grundsätzlich durch ihr Sozialstaatskonzept wieder mehr nach links rückt. Setzt Sie das unter Druck?

Demirel: Nein. Wir haben schon immer für einen Mindestlohn gekämpft. Wenn die SPD jetzt nachzieht, ist das doch wunderbar. Dann sehen Sie, dass der Druck von den Linken funktioniert. Wichtig ist, dass das jetzt auch auf europäischer Ebene umgesetzt wird. Dafür werde ich wie eine Löwin kämpfen.

Juso-Chef Kevin Kühnert fordert die Vergesellschaftung von Eigentum. Haben Sie ihm schon einen Mitgliedsantrag zugeschickt?

Demirel: Nein, aber wenn er mit seinen Vorschlägen in Die Linke kommt, ist er herzlich willkommen. Wir müssen darüber reden, was für eine Wirtschaftsform wir wollen. Die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander. Die sieben reichsten Europäer besitzen insgesamt ein Vermögen von knapp 300 Milliarden Euro, das ist fast doppelt so viel wie der gemeinsame EU-Haushalt. Da gibt es doch eine Schieflage. Wir wollen also Unter- und Mittelschicht entlasten und Superreiche stärker belasten. Außerdem finden wir, dass die soziale Infrastruktur nicht in private Hand gehört. Wir unterstützen in der Tat in Berlin die Volksinitiative und sagen, dass „Deutsche Wohnen und Co.“ enteignet werden sollen. Uns geht es nicht um Omas Häuschen und auch nicht um Menschen, die ihre Wohnung selbst bewohnen oder vermieten.

Was bedeutet die Wahl für Europa?

Demirel: Europa ist am Scheideweg, nicht zuletzt durch das Erstarken der Rechten. Wir bieten eine Alternative für eine soziale und eine antirassistische Politik.

Gerade in der Flüchtlingspolitik gibt es in Europa viel Streit.

Demirel: Ich wünsche mir eine solidarische Migrationspolitik. Dazu gehört es für mich zum Beispiel auch, ein Seenotrettungsprogramm auf europäischer Ebene aufzulegen.

Der Linken haftet das Image an, nicht besonders europafreundlich zu sein. Ihr Co-Spitzenkandidat Martin Schirdewan gehört dem realpolitischen Flügel Ihrer Partei an, Sie dem linken Flügel. Wie wollen Sie die Europaskeptiker überzeugen?

Demirel: Ich finde es immer seltsam, wenn so getan wird, als ob wir die Skeptiker auf der einen Seite und die Liebenden auf der anderen Seite haben. Die Übereinstimmung überwiegt. Wir lehnen es als Linke zum Beispiel geschlossen ab, dass die Sparpolitik immer weiter ausgebaut wird. Es geht uns um reale Verbesserungen. Wenn es um eine Sozialunion geht, dann will ich mehr Europa. Wenn es darum geht, Aufrüstung auf europäischer Ebene voranzutreiben, nicht.

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