Interview zu Sonderparteitag NRW-SPD-Chef Groschek wirbt für Verhandlungen über große Koalition

Bonn · Michael Groschek ist Chef des mächtigen SPD-Landesverbandes NRW. Er wirbt dafür, dass die Delegierten beim Sonderparteitag in Bonn für Verhandlungen über eine Neuauflage der großen Koalition mit der Union stimmen.

 SPD-Landeschef Michael Groschek.

SPD-Landeschef Michael Groschek.

Foto: Benjamin Westhoff

Der Chef der nordrhein-westfälischen SPD, Michael Groschek, glaubt daran, dass sich der Sonderparteitag am Sonntag in Bonn mehrheitlich für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der Union aussprechen wird. „Ich glaube, dass wir am Ende eine überzeugte, keine überredete Mehrheit hinkriegen“, sagte Groschek im Gespräch mit unserer Redaktion. Die Stimmung unter den Delegierten sei nachdenklicher geworden.

Die Spaltung der SPD läuft mitten durch Ihre Familie. Während Sie in Düsseldorf für Koalitionsgespräche mit der Union warben, demonstrierte Ihr Sohn Jesco vor der Tür als Juso dagegen. Wie war das für Sie?

Michael Groschek: Ich bin froh, dass er bei den Jusos aktiv ist. Jusos sind der Stachel im Fleisch der SPD und nicht die Schuhputzer oder Kaffeeholer wie in anderen Parteien.

Wie kann man sich das vorstellen, versuchen sie sich zu Hause gegenseitig zu überzeugen?

Groschek: Ja, aber man muss bei Diskussionen auch mal einen Punkt machen. So, wie wenn ein BVB- und ein Schalke-Fan aufeinander treffen. Da braucht es dann auch ein anderes Thema als Fußball. Ich habe Respekt vor den politischen Überzeugungen meines Sohnes. In seinem Alter habe ich auch ausschließlich an den großen Wurf geglaubt. Heute weiß ich, dass der große Wurf manchmal schrittweise leichter erreicht werden kann als in einem einzigen großen Aufschlag.

Groko – ja oder nein? Wie ist die Stimmung in der SPD vor dem Parteitag am Sonntag in Bonn?

Groschek: Die Stimmung ist nachdenklicher geworden. Diese nachdenklichen Sozialdemokraten sind es, die wir von dem Sondierungsergebnis mit all seinen positiven Punkten überzeugen wollen.

Wie, glauben Sie, wird die Abstimmung ausgehen?

Groschek: Ich glaube, dass wir am Ende eine überzeugte, keine überredete Mehrheit haben werden. Begeisterungsstürme sind dabei nicht zu erwarten. Die SPD wird nach dem Parteitag handlungsfähig sein.

Die SPD hat in der bisherigen großen Koalition viel durchgesetzt. Warum spielen diese Erfolge im Streit um eine neue Groko keine Rolle?

Groschek: Wir haben 2017 ein Jahr mit mehreren Wahlniederlagen erlebt, vor allem im Bund und in NRW. Unter diesem Eindruck ist bei vielen das Erklärungsmuster entstanden, dass die große Koalition daran schuld sei. Da müssen wir stärker differenzieren.

Braucht die SPD mehr Selbstbewusstsein?

Groschek: Mit Blick auf die Wahlniederlagen müssen wir auch stärker unterscheiden zwischen Schulter und Nase. Die SPD hat sich selbst zu oft auf die Schulter geklopft, wir müssen uns mehr an die eigene Nase fassen. Die Partei verschweigt häufig ihre eigenen Erfolge. Die Sondierungsergebnisse würden viele soziale Verbesserungen für Millionen Menschen bedeuten. Deshalb muss auch jeder wissen: Ein „Nein“ muss mindestens so gut begründet sein wie ein „Ja“. Viele Menschen würden fragen: ‚Warum habt ihr diese Chance nicht genutzt?'

Was passiert, wenn es nicht so ausgeht, wie Sie es sich wünschen?

Groschek: Ich zähle nicht zu denen, die mit Vorliebe in Abgründe schauen, sondern bin ins Gelingen verliebt. Ich glaube, dass es am Sonntag zu einer überzeugten Mehrheit kommen wird.

Es gibt dennoch noch viele Zweifler. Gibt es mit ihnen noch einmal Einzelgespräche?

Groschek: Es werden noch eine Reihe von Gesprächen und Diskussionen stattfinden, aber nicht nach dem Prinzip ‚Befehl und Gehorsam‘. Und am Sonntag gibt es wie üblich vor Beginn noch eine Delegiertenvorbesprechung. Unsere Delegierten sind mündige Bürgerinnen und Bürger mit hoher politischer Urteilskraft. Aber jeder und jedem muss klar sein: Mehr Mitbestimmung heißt auch mehr Mitverantwortung für jeden einzelnen.

Bieten Sie den Gegnern der Groko noch etwas an?

Groschek: Wir in NRW tragen eine ganz besondere Verantwortung dafür, dass dieser Parteitag gelingt. Die Rolle der NRW-SPD auf dem Parteitag ist die eines Brückenbauers: Wir werden helfen, dass eine überzeugte Mehrheit zustande kommt.

Gehören dazu Nachbesserungen am Sondierungsergebnis, wie es viele fordern?

Groschek: Verbessern ist nicht verboten. Ich kann aber nur versprechen, was ich auch halten kann. Klar ist: Es darf auf keinen Fall auch nur einen Millimeter schlechter werden.

Welche Überzeugungskraft hat das Argument staatspolitische Verantwortung nach dem Jamaika-Aus?

Groschek: Die SPD hat immer zu ihrer staatspolitischen Verantwortung gestanden. Jetzt wollen viele Menschen, dass eine Regierung zustande kommt. Es gibt aber noch eine weitere staatspolitische Pflicht: Wir müssen aufpassen, dass unsere Demokratie an den Rändern nicht ausfranst – und daher müssen wir die Bindekraft der SPD stärken. Eine Beteiligung an der Regierung würde aus meiner Sicht dazu beitragen können, weil sie das Vertrauen in die SPD stärkt. Wir können uns schließlich nicht mit einem 20-Prozent-Loch abfinden – wir müssen wieder zu einer Partei werden, die auch eine Kanzlerin oder einen Kanzler stellen kann.

Wenn es am Sonntag nicht klappt, bleiben es nur noch zwei Szenarien: Neuwahlen oder Minderheitsregierung.

Groschek: Wir haben keine Angst vor Neuwahlen, wir streben sie aber auch nicht an. Neuwahlen können auch nicht einfach beschlossen werden. Dafür hat die Verfassung klare Regeln. Eine Minderheitsregierung hat die Union ausgeschlossen. Es gibt nur die Möglichkeiten Koalitionsverhandlungen oder Neuwahlen.

Viele Groko-Gegner in der SPD wünschen sich die Oppositionsrolle. Ihre Sorge ist, dass die SPD in einem Bündnis mit Angela Merkel immer weiter geschrumpft ist. Was würden Sie in einer Groko anders machen, damit das nicht passiert?

Groschek: Es gibt keine Garantie dafür, dass eine Partei in der Opposition stärker wird. Wir selbst müssen dafür sorgen, dass unser Erneuerungsprozess auf allen Ebenen vorangetrieben wird. Auf Bundesebene, im Land und auch in den Kommunen. Denn auch die Basis ist bei diesem inhaltlichen und personellen Erneuerungsprozess gefordert. Die SPD darf nicht zum Streichelzoo für Platzhirsche werden.

Wofür steht denn die SPD, muss sie sich grundsätzlich neu aufstellen?

Groschek: Man kann in ganz Europa von einer Krise der Sozialdemokratie sprechen. Die sozialdemokratischen Parteien sind hin- und hergerissen zwischen dem, was wir als „New Labour“ bezeichnet haben und dem, was klassische Sozialdemokratie war. Da ist eine Neuorientierung notwendig. Aber nicht im Klein-Klein von Spiegelstrichen, sondern mit einem großen Zukunftsentwurf. Die Globalisierung etwa ist eine riesige Herausforderung, die Digitalisierung wird unser gesamtes Gesellschaftssystem verändern. Wie verhindern wir etwa, dass Roboter und Großkonzerne einseitig die Globalisierungsgewinne einstreichen und die Menschen auf der Strecke bleiben? Die Antworten darauf müssen wir uns erarbeiten. Es gibt in der neuen digitalisierten Welt viel Platz für die SPD.

Ist ein Generationswechsel an der SPD-Spitze auch Teil des Prozesses?

Groschek: Ja klar.

Was heißt das für Martin Schulz?

Groschek: Er hat ja selbst gesagt, er möchte die Partei programmatisch und personell unter seiner Führung erneuern. Unter anderem dafür wurde er auf dem letzten Parteitag mit 82 Prozent wiedergewählt.

Wenn es zu einer Groko kommt – haben Sie Ambitionen, darin ein Ministeramt zu übernehmen?

Groschek: Wir reden jetzt über Inhalte und nicht über Personal.

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