Norbert Röttgen - Aus der Distanz

BONN · Norbert Röttgen - ein Christdemokrat im ungeliebten Wahlkampf.

Von wem die Idee stammte, ist nicht überliefert. Aber dann war die Idee Realität und prangte auf Plakaten und Podien: "NRW - Norbert Röttgen wählen." Die Absicht dahinter war klar: NRW steht für Röttgen, sie sind eins, ein Mann wie das Land, ein Nordrhein-Westfale eben. Wenn es denn so wäre. Norbert Röttgens Hauptproblem in diesem Wahlkampf ist genau dies: dass er nicht als einer der Ihren gilt. Beim Bürger nicht und in der Partei auch nicht so richtig.

Der heute 46-Jährige, der in Meckenheim geboren wurde (weil im Rheinbacher Krankenhaus kein Zimmer frei war), der in Rheinbach aufwuchs, in Bonn studierte und jetzt in Stieldorf zu Hause ist, kommt nicht als Nordrhein-Westfale rüber, sondern als Berliner. Das mag er beklagen, aber das ist so. Und der Spitzenkandidat selbst hat daran ein gerüttelt Maß an Mitschuld.

Denn von Anfang an in diesem Wahlkampf, der alle überrascht hat, hat er sich der Antwort verweigert, was er macht, wenn er nicht gewinnt. "Ich will Ministerpräsident werden", antwortet er seit Wochen stereotyp - und dass er die Frage nicht mehr hören kann, versteht sich. Aber sie wird wieder und wieder gestellt. Weil man weiß, dass Röttgen Anderes will. Dass es ihm nicht in den Sinn käme, Fraktionsvorsitzender im Düsseldorfer Landtag zu werden oder Vize in einer großen Koalition unter Hannelore Kraft - jeder ahnt es. Aber er sagt es nicht.

Der Abstand zur SPD wächst

Er sagt allerdings, dies nicht zu sagen sei die "ehrlichere Antwort", und das glauben ihm die Leute nicht. Ein anderer Satz hat in den vergangenen Tagen allerdings an Glaubwürdigkeit gewonnen: Der Satz nämlich, dass die Partei am Tag nach der Wahl entscheide, wie es mit Norbert Röttgen weitergehe.

Das könnte in der Tat so kommen. Denn die Zeichen für den Mann, der in Berlin Kanzler oder mindestens erst mal Fraktionsvorsitzender werden möchte, stehen auf Niederlage, von Tag zu Tag mehr. Der Abstand in den Umfragen zwischen CDU und SPD wächst, beträgt jetzt acht Punkte, ist also nach allem, was Wahlanalytiker wissen, nicht mehr einzuholen.

Und der Popularitätsvorsprung von Hannelore Kraft ohnehin nicht. Es droht nach 2010 (34,6 Prozent für die CDU) das schlechteste Ergebnis seit Jahrzehnten. Und Röttgen selbst hat sich statt des sicheren Rhein-Sieg-Wahlkreises einen in Bonn ausgesucht, den er kaum gewinnen kann. Auch das Rheinland, so viel ist realistisch, wird Röttgen nicht retten.

Wahlkampf für einen Landtag ist keine vergnügungssteuerpflichtige Veranstaltung. Da werden dem Mann, der nicht nur politisch gern grün denkt (sondern auch isst), fettige Bratwürste hingehalten, in die er auch noch beißen muss. Da steht das Kölsch bei der Bonner Ehrengarde am Rheinufer bereit, der Kandidat muss die Runde zahlen.

Da steht in Oberkassel plötzlich ein Tambourkorps vor dem Kandidaten, und eh er sich versieht, hat er den Taktstock in der Hand und dirigiert, ja was denn: "Preußens Gloria". Tambourmajor Gerd Schneider fällt hinterher zumindest das Kompliment ein: "Also Taktgefühl hat er ja."

Das spricht ihm keiner ab. Taktgefühl, Manieren, Formen - aber keine wirkliche Bürgernähe. Einer wie er käme nie auf die Idee, mit einer Currywurst Wahlkampf zu machen, wie das die Konkurrenz tut. Aber im Volk kommt das an. Röttgens Standardrede ist eine kluge Rede, die abrechnet mit den Fehlern von Rot-Grün.

Der Riesenverschuldung, die in die Zukunft wirkt. Politik "aus den Augen unserer Kinder" will Röttgen machen. Aber all das Klug-Richtige und Richtungweisende verfängt dann eben weniger als die Tatsache, dass auf dem Kinder-Plakat, das auch Röttgen über sich ergehen lässt, der Kandidat das Kind nicht anguckt und dem Kind die Kappe verrutscht ist.

Es läuft nicht rund im Wahlkampf des Norbert Röttgen. Das Schattenkabinett ist eine Versammlung angesehener Experten, zusammengesucht von Aachen bis Berlin, aber als er sie vorstellt, kommen sie kaum zu Wort. Der Mann, der Schulden abbauen will und für Seriosität steht, weigert sich, Streichvorschläge zu benennen: "Kleinvieh macht auch Mist", heißt das Sparkonzept.

Zwei Milliarden Euro als Einnahme eingeplant

Zwei Milliarden Euro will er einnehmen, wenn das Steuerabkommen mit der Schweiz in Kraft ist. Das löst bei Experten nur ein müdes Lächeln aus. Die Studiengebühren und die Gebühren fürs dritte Kita-Jahr wollte seine Partei wieder einführen, das war ihm zu gefährlich, das hat er gekippt. So ist dann das Konkreteste im Röttgen-Sparplan, dass er kleiner ausfällt als angelegt, weil Röttgen doch lieber kleine Wahlgeschenken machen wollte: "Vertrauen" in die Dauerhaftigkeit von Politik nennt er das.

Die Etats für Familie, Bildung, Kultur und Kommunen lässt er aus den nicht konkretisierten Sparabsichten raus, auf Nachfrage auch die Polizei. Da bleibt in einem Landesetat nicht viel an Posten, in denen man streichen könnte.

Der Kandidat spürt, dass es eng wird. Die SPD lässt ihn rechts liegen, die Grünen ohnehin, obwohl er sie doch so gerne als Partner hätte, und der Partner von einst, die FDP, macht Wahlkampf auf Kosten der Union. Norbert Röttgen - allein zu Haus.

Also holt er sich in einem Akt der Verzweiflung in der Schlusswoche noch Angela Merkel, die ihn in diesen Wochen wirklich nach Kräften unterstützt hat, ins Haus. "Schicksalswahl." "Abstimmung über Merkels Europakurs." Das soll eigentlich nur das Motto "Schuldenmachen ist eine Riesengefahr" unterstreichen, aber es wirkt, als wolle er die Kanzlerin für die drohende Niederlage mit haftbar machen.

Folglich hagelt es Kritik aus Berlin. Merkel nimmt Abstand. Am 8. Mai, dem Tag der Kapitulation, "bedauert" er im ZDF, dass die Wähler, nicht die CDU-Mitglieder, die Wahl entscheiden. Und dann, drei Tage vor der Wahl, flattert der Wahlprospekt des Norbert R. ins Haus. Er endet mit der Mahnung: "Muttertag nicht vergessen" - das wirkt fast wie eine Wahlempfehlung für Mutter Hannelore.

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