Sozialhilfe für EU-Ausländer Nahles und das Schlupfloch

Berlin · Das deutsche Recht ist EU-Ausländern gegenüber großzügiger, als es das europäische Recht verlangt. Das will die Bundesregierung nun ändern.

 Arbeitssuchende stehen in Duisburg vor der Agentur für Arbeit. Künftig sollen EU-Ausländer nur dann Sozialhilfe bekommen, wenn sie Ansprüche aus der Sozialversicherung erworben haben.

Arbeitssuchende stehen in Duisburg vor der Agentur für Arbeit. Künftig sollen EU-Ausländer nur dann Sozialhilfe bekommen, wenn sie Ansprüche aus der Sozialversicherung erworben haben.

Foto: picture alliance / dpa

Am Anfang war die Rechtsunsicherheit, vorübergehend schien die Sache geklärt, ehe dann erneut große Fragezeichen auftauchten: Die Debatte darüber, wann in Deutschland lebende Staatsangehöriges eines anderen EU-Landes Sozialleistungen beziehen können, wogt seit zwei Jahren hin und her – und findet immer wieder auf neuer Rechtsgrundlage statt, weil die Gerichte in dieser Frage so unterschiedlich geurteilt haben. Nun will die in Berlin zuständige Bundesministerin Andrea Nahles (SPD) zumindest in einem wichtigen Punkt wieder Klarheit schaffen.

Auf europäischer Ebene ist diese mittlerweile vorhanden. Zwei konkurrierende Brüsseler Vorschriften standen jedoch am Beginn der teilweise hitzig aufgeladenen Debatte. Da ist zum einen der Grundsatz der Freizügigkeit. EU-Bürger haben den europäischen Verträgen zufolge „das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten“.

Ein EU-Ausländer kann daher ganz formlos einreisen und muss in den ersten drei Monaten auch keinerlei spezielle Voraussetzungen erfüllen, also auch keine Arbeit haben. Auf der anderen Seite ist das Gastland auch nicht verpflichtet, ihm im Fall der Bedürftigkeit sofort Sozialhilfe zu gewähren. So steht es in einer EU-Richtlinie, die die Details regelt. Zum anderen ist im EU-Recht an verschiedenen Stellen der Gleichheitsgrundsatz verankert. Laut Verordnung EG 883/2004 etwa ist es „grundsätzlich nicht gerechtfertigt, Ansprüche der sozialen Sicherheit vom Wohnort der betreffenden Person abhängig zu machen“. Dies dürfe nur, so heißt es dort weiter, „in besonderen Fällen“ geschehen.

Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg hat zuletzt in zwei kurz hintereinander verkündeten Grundsatzurteilen verkündet, welche der Bestimmungen höher zu gewichten ist. Klare Ansage: Der Gleichheitsgrundsatz muss erst einmal zurückstehen, wenn ein neu zugezogener EU-Bürger keine Arbeit hat. Dies gilt nicht nur in den ersten drei Monaten seines Aufenthaltes, sondern auch später. So ist zum Beispiel bekannt, dass sich im Zuge der Eurokrise einige etwas wohlhabendere Griechen in Deutschland niedergelassen haben. Sollte ihr Erspartes eines Tages weg sein, könnten sie dem Luxemburger Urteil zufolge kein Hartz IV beziehen, wenn sie nicht zuvor in Deutschland gearbeitet haben.

Als die Bundesregierung noch die neue Rechtssicherheit feierte, weil damit ein potenzielles Einfallstor für Rechtspopulisten verschlossen war, die damit gegen die EU im allgemeinen und EU-Ausländer im besonderen hätten wettern können, sorgten zwei neue Urteile des Bundessozialgerichts wieder für Verwirrung.

Demnach haben EU-Bürger, wenn sie länger als sechs Monate in Deutschland leben, Anspruch auf Hilfen zum Lebensunterhalt in gesetzlicher Höhe – auch wenn sie keine Arbeit haben, sondern nur auf Jobsuche sind. Die Richter begründeten den Grundsicherungsanspruchs mit einem „verfestigten Aufenthalt“, der nach einem halben Jahr gegeben sei – konterkarierten damit aber das EuGH-Urteil. Sozialministerin Nahles war derart verärgert, dass sie schon im Dezember eine gesetzliche Neuregelung ankündigte.

Nun liegt der Gesetzentwurf aus ihrem Ministerium für Arbeit und Soziales vor. Es reagiert damit der Hausherrin zufolge auf die „Unklarheit“, die die sich widersprechenden Urteile aus Luxemburg und Kassel erzeugt haben. Wenn Andrea Nahles sagt, dass „keine Veränderung des Status quo“ geplant sei und sie nur „präventiv“ handele, „um ein Schlupfloch, was entstehen könnte und die Kommunen belasten könnte, zu schließen“, bezieht sich das freilich allein darauf, dass sie dem Luxemburger Urteil Geltung verschaffen will. Im Vergleich zum Spruch der Kasseler Sozialrichter, für Nahles das potenzielle „Schlupfloch“, handelt es sich um einen größeren Eingriff.

Der Gesetzentwurf der Ministerin sieht vor, dass EU-Ausländer ohne Arbeit nicht bereits nach sechs Monaten Anspruch auf die Grundsicherung haben, sondern erst nach fünf Jahren. Dieser lange Zeitraum soll in erster Linie abschreckend wirken und eine absichtliche Zuwanderung in die Sozialsysteme verhindern – so wie die EU-Regeln dies eigentlich auch vorsehen. Von einem rein nationalen Problem ist daher im Ministerium die Rede.

Die geplante Neuregelung, die bereits die Rückendeckung von Kanzlerin Angela Merkel hat und noch vor der Sommerpause vom Bundeskabinett verabschiedet werden soll, betrifft allerdings auch nur eine sehr überschaubare Zahl von Fällen. Nicht darunter würden zum Beispiel EU-Ausländer fallen, die im Verlauf der fünfjährigen Wartezeit eine Stelle hatten und lediglich zum Ablauf der Frist arbeitslos gemeldet sind. „Man muss nur einmal kurz gearbeitet haben, dann hat man bereits den Anspruch“, heißt es in Nahles’ Ministerium.

Für die 444(000 Haushalte von EU-Ausländern in Deutschland, die Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II beziehen, ändert sich somit nichts. Sie werden weiter unterstützt, entweder weil sie ihre Stelle verloren haben oder einen Niedriglohnjob ausüben, der allein nicht zum Leben reicht. Potenzielle Adressaten der Gesetzesinitiative sind Nahles zufolge jene 43 000 Haushalte mit EU-Ausländern, von denen die Bundesregierung nicht genau weiß, wie sie sich finanzieren. Da sicherlich einige dieser Menschen auch auf eigenes Geld zurückgreifen, dürfte die Zahl derer, die ohne zuvor gearbeitet zu haben Sozialhilfe beziehen, noch einmal deutlich niedriger sein.

Sie allerdings werden in Zukunft nur noch notdürftig vier Wochen lang versorgt. Eine einmalige Überbrückungsleistung soll den sofortigen Bedarf an Essen, Gesundheitsversorgung oder für eine Unterkunft decken, zudem will der Staat ein Darlehen zur Finanzierung der Rückreise in das Heimatland gewähren – wo ein Anspruch auf Sozialhilfe besteht.

Die Kommunen, auf die ein Großteil der Kosten entfiele, wenn nach dem Kasseler Urteil einer Grundsicherung ohne vorherige Arbeit verfahren würde, zeigen sich erleichtert. „Die Urteile des Bundessozialgerichts“, ließ der Deutsche Städtetag jetzt verlauten, „waren in den Kommunen auf großes Unverständnis gestoßen.“

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