Prozessauftakt um Gräueltaten Mutmaßliche Helfer Assads in Koblenz vor Gericht

Bonn. · Der weltweit erste Prozess wegen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ in Syrien hat in Koblenz begonnen. Die Anklage stützt sich auf die Aussagen von 52 Zeugen.

 Die beiden Angeklagten Anwar Raslan (links) und Eyad Alghareib (rechts) sitzen auf der Anklagebank des Oberlandesgerichts hinter Corona-Schutzscheiben. Ihnen wird die Beteiligung an syrischer Staatsfolter vorgeworfen.

Die beiden Angeklagten Anwar Raslan (links) und Eyad Alghareib (rechts) sitzen auf der Anklagebank des Oberlandesgerichts hinter Corona-Schutzscheiben. Ihnen wird die Beteiligung an syrischer Staatsfolter vorgeworfen.

Foto: dpa/Thomas Frey

Wie das Evin-Gefängnis am nördlichen Stadtrand von Teheran gehört das Al-Kathib in Damaskus zu den brutalsten Folterkellern der Gegenwart. Es ist das Gefängnis der sogenannten Abteilung 251, die dem Regime des syrischen Diktators Baschar al-Assad für die Sicherheit der Hauptstadt Damaskus und des Umlands verantwortlich ist. Anwar Raslan leitete dort einst die Einheit für Ermittlungen beim Allgemeinen Geheimdienst. Die Beamten, die im Al-Khatib die „Verhöre“ führten und Regimegegner bestialisch folterten, waren seine Untergebenen.

Seit Donnerstag stehen der 57-Jährige sowie der 43-Jährige Eyad Alghareib, der in einer Unterabteilung des syrischen Geheimdienstes tätig war, vor Gericht. In Deutschland. Genauer vor dem Oberlandesgericht Koblenz. Die Bundesanwaltschaft spricht vom „weltweit ersten Strafverfahren gegen Mitglieder des Assad-Regimes wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ (Az.: 1 StE 9/19).

Möglich ist das nach dem Weltrechtsprinzip, das seit den 90er Jahren nach den Völkermorden etwa in Ruanda und den Kriegsverbrechen im jugoslawischen Bürgerkrieg international an Bedeutung gewonnen hat. Die Bundesanwaltschaft will in ihrer Anklageschrift nachweisen, dass im Al-Khatib allein im Zeitraum zwischen April 2011 und September 2012, als Raslan desertierte, unter seiner Verantwortung mindestens 4000 Häftlinge gefoltert wurden und mindestens 58 starben. Die tatsächliche Opferzahl liegt wohl deutlich höher.

Nach Recherchen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR stützt sich die Anklage auf die Aussagen von 52 Zeugen, die wie die Verdächtigen aus Syrien geflohen sind. Als die beiden Männer in Berlin und Zweibrücken verhaftet wurden, sprach sich das schnell in der Exilgemeinde herum. Syrer aus ganz Europa sagten aus.

Die Bundesanwaltschaft wirft Raslan eine Vielzahl von Foltervorgängen als Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor: Schläge mit Peitschen, Stöcken, Kabeln und Fäusten. Elektroschocks. Auch Vergewaltigung, schwere sexuelle Nötigung, Androhungen, nahe Angehörige zu misshandeln, und Schlafentzug seien als Foltermethoden eingesetzt worden, heißt es in der 104-seitigen Anklageschrift, die Oberstaatsanwalt Jasper Klinge verlas.

Der zweite Angeklagte Eyad Alghareib soll laut Anklage zusammen mit Kollegen im Herbst 2011 in der Stadt Douma Teilnehmer an einer gewaltsam aufgelösten Kundgebung verfolgt und festgenommen haben. Sie hätten mindestens 30 Menschen in das Al-Khatib-Gefängnis gebracht. Nach Überzeugung der Anklage wusste Alghareib bei der Festnahme der Demonstranten von der systematischen Folter in dem Gefängnis, das Raslan verantwortete. Ihm wird nun Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen.

Die beiden Männer verließen Syrien nach Erkenntnissen der Ermittler 2012 und 2013 und reisten zu unterschiedlichen Zeitpunkten in die Bundesrepublik ein: Raslan im Juli 2014; Alghareib im August 2018. Der sprach in seiner Asylanhörung über seine Tätigkeit für den Geheimdienst. Angeblich sollen die Behörden dabei vergessen haben, ihn rechtlich zu belehren, dass er sich in seinen Aussagen nicht selbst belasten muss – so dass nun fraglich sein könnte, ob seine Ausführungen gegen ihn verwendet werden können. Bis Mitte August sind in dem Verfahren 24 Verhandlungstage angesetzt.

„Dieser Prozess ist nicht nur für uns wichtig, sondern auch für die Opfer, die noch im Gefängnis sitzen und für die, die nicht mehr am Leben sind“, sagte Wassim Mukdad, einer der Nebenkläger, gegenüber Nachrichtenagenturen. Und: Das Verfahren gegen Anwar Raslan und Eyad Alghareib in Koblenz soll nur ein Anfang sein. „Allen Tätern soll klar sein, dass sie nirgendwo auf der Welt einen sicheren Ort finden werden, wo sie ihrer gerechten Strafe entgehen können“, sagte der inzwischen in Berlin lebende Menschenrechtsaktivist Anwar al-Bunni gegenüber Amnestie International.

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