Nach dem Tiergartenmord Moskau weist zwei deutsche Diplomaten aus

Moskau · Die russische Regierung in Moskau weist zwei deutsche Diplomaten aus – und antwortet damit auf die Berliner Ausweisung von zwei Russen. Aber in Russland glaubt kaum jemand, dass der Konflikt nach dem Tiergartenmord eskaliert

 Moskau weist zwei deutsche Diplomaten aus.

Moskau weist zwei deutsche Diplomaten aus.

Foto: dpa/Paul Zinken

Als Géza Andreas von Geyr  am Donnerstag auf dem Smolensker Platz aus seiner schwarzen Dienstlimousine stieg, warteten die Kamerateams der Staatssender schon. Das russische Außenministerium hatte den deutschen Botschafter einbestellt, um ihm die Ausweisung zweier deutscher Diplomaten zu verkünden. „Sie haben das Gebiet unseres Landes im Verlauf von sieben Tagen zu verlassen“, heißt es in einer Presseerklärung des Außenministeriums.

Mit dieser Maßnahme antworte man auf die Ausweisung von zwei Mitarbeitern der russischen Botschaft in Berlin durch die deutsche Regierung. Man habe dem Botschafter in einer entsprechenden Note den „entschiedenen Protest gegen diese grundlose Entscheidung“ zum Ausdruck gebracht.

Deutsche Staatsanwaltschaft erhebt schwere Vorwürfe

Berlin und Moskau liefern sich einen Schlagabtausch aus schwerem diplomatischem Geschütz. Das Auswärtige Amt retournierte mit einer Note, in der es die russische Antwort „als falsches Signal und ungerechtfertigt“ bezeichnete. Die deutsche Seite verwies auf den sogenannten Tiergartenmord an dem georgisch-tschetschenischen Flüchtling und dem ehemaligen Feldkommandeur Tornike Kawtarawschwili, auch bekannt unter seinem früheren Namen Selimchan Changoschwili, im August. Die deutsche Staatsanwaltschaft habe „zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass die Tötung entweder im Auftrag von staatlichen Stellen der Russischen Föderation oder solchen der Autonomen Tschetschenischen Republik als Teil der Russischen Föderation erfolgt ist.“ Die russischen Behörden aber hätten trotz mehrfacher Aufforderungen nicht hinreichend bei der Aufklärung des Mordes mitgewirkt.

Moskau hält dem entgegen, das Opfer Changoschwili sei selbst ein Terrorist gewesen. Präsident Wladimir Putin bezeichnete ihn am Montag am Rande des Normandie-Gipfels in Paris als „grausamen und blutigen Menschen“, er sei unter anderem Organisator der Sprengstoffanschläge in der Moskauer Metro gewesen, habe allein bei einem Terrorakt 98 Menschen getötet. Aber der Kreml ist offenbar nicht daran interessiert, dass der Konflikt mit Berlin eskaliert. Die Ausweisung der deutschen Diplomaten sei eine erzwungene Gegenmaßnahme, erklärte Präsidentensprecher Dmitri Peskow gestern. „Wir hoffen, diese Maßnahme wird nicht zum Negativfaktor für die weitere Entwicklung unseres sehr konstruktiven Dialogs mit der BRD werden.“

Experten erwarten keine weitere Eskalation

Deutschland gilt angesichts des gemeinsamen Gasleitungsprojekts Nordstream 2 in Russland als wirtschaftlicher, wenn nicht politischer Verbündeter. Die meisten Moskauer Politologen glauben deshalb, der Streit werde nicht eskalieren. „Die gegenseitige Ausweisung von Diplomaten ist übliche Praxis“, sagt Ajdar Kurtow, Chefredakteur der Zeitschrift Problemy Nacionalnoj Strategii, unserer Zeitung. Er hoffe, beide Seiten ließen es damit bewenden. „Zumal Präsident Putin ja in Paris Informationen über das Mordopfer publik gemacht hat, die der deutschen Öffentlichkeit nicht bekannt waren.“ Allerdings wusste auch Russlands Öffentlichkeit bisher kaum etwas über den toten Changoschwili.

Die Sicherheitsorgane machten nicht ihn, sondern russische und dagestanische Islamisten für die Organisation der Anschläge in der Moskauer Metro verantwortlich, bei denen 2004 und 2010 insgesamt über 80 Menschen starben. „Wenn dieser Mann wirklich Chefterrorist und Massenmörder gewesen ist, warum verkündet der russische Präsident das erst jetzt?“, fragt der Moskauer Publizist und Kaukaususexperte Maxim Schewtschenko.

Aber es bestehen Zweifel an einer direkten Beteiligung russischer Geheimdienste

Die Berliner Ermittlungsbehörden irritiert vor allem, dass Changoschwilis Mörder, der Russe Wadim Krasikow, der 2013 schon einen ähnlichen Mord in Moskau begangen hatte, damals zur Fahndung ausgeschrieben wurde, später aber aus den russischen Ermittlungslisten verschwand, ebenso aus Datenbanken der russischen Polizei.

Andererseits bezweifeln auch einige Gegner Russlands, dass Putins Sicherheitsdienste den Täter ausgeschickt haben. „Das ähnelt nicht der Handschrift der russischen Geheimdienste“, erklärt der ukrainische Geheimdienstexperte Oleksi Kuropjatnyk. „Der Täter flog sofort und auf sehr dumme Weise auf, alle Indizien liegen auf der Hand, die enormen politischen Risiken aber hat niemand einkalkuliert.“ Kuropjatnyk vermutet, Tschetschenenchef Ramsan Kadyrow und seine Leute hätten den Mord auf eigene Rechnung durchgeführt, mithilfe einzelner Beamter in den Sicherheitsorganen: „Die Korruption in Russland ist atemberaubend.“ Es bleibt abzuwarten, ob Moskau dem deutschen Verlangen nachkommen wird, „ernsthaft und unverzüglich“ an der Aufklärung des Mordes mitzuwirken.

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