Schlagabtausch in der Flüchtlingsfrage Minister Jäger: Wir sind nicht überfordert

DÜSSELDORF · Flüchtlinge in Zelten, Aufnahmestopps, mehr als 100 000 erwartete Asylbewerber in einem Jahr - wegen der drängenden Probleme in den 44 NRW-Landeseinrichtungen unterbrach der Innenausschuss des Landtags für eine Sondersitzung die politische Sommerpause.

 Szene aus der Flüchtlingsunterkunft in Hamm.

Szene aus der Flüchtlingsunterkunft in Hamm.

Foto: dpa

Seit Wochen steht Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger (SPD) aufgrund der teilweise chaotischen Zustände in Flüchtlingsheimen unter Druck. Kaum aus dem Urlaub zurück, ging Jäger in die Offensive. "Wir sind gefordert, aber nicht überfordert."

In der vierstündigen Debatte warf die CDU der Landesregierung Tatenlosigkeit in der Flüchtlingsfrage vor. "Ministerpräsidentin Kraft macht das Sportabzeichen, Jäger war im Urlaub", giftete CDU-Innenexperte Peter Biesenbach unter Buh-Rufen des Regierungslagers. Auch der Piraten-Abgeordnete Dietmar Schulz kritisierte, dass Kraft zwar das Thema Flüchtlinge beim Runden Tisch zur Chefsache erklärt habe, in der Krise aber nicht vor Ort sei. Zumindest im Interview meldete sich die Regierungschefin am Freitag zu Wort und erklärte, dass die Flüchtlingsfrage eine "zentrale Aufgabe" in den kommenden Jahren sei.

Jäger räumte ein, dass die auf fast 14 000 aufgestockten Plätze in den Landeseinrichtungen nicht ausreichen. Deshalb will das Land in den nächsten Monaten weitere 6200 Plätze schaffen. Dass NRW zwar nur 21 Prozent der Einwohner in Deutschland stellt, aber real 30 Prozent aufnimmt, führte Jäger auf Kapazitätsprobleme anderer Bundesländer zurück. Auch gebe es derzeit noch eine "Unwucht" zwischen Westfalen und Rheinland bei der Aufnahme von Flüchtlingen. Aktuell nehmen die Landeseinrichtungen in Westfalen zwei Drittel der Flüchtlinge auf - spätestens 2016 will der Minister die Aufnahmequoten ausgleichen. Biesenbach fragte, warum Jäger die regionalen Unwuchten so lange geduldet habe.

Jägers Staatssekretär Bernhard Nebe gestand selbstkritisch ein, dass NRW dem bei den Flüchtlingsgipfeln formulierten Anspruch eines Paradigmenwechsels in der Flüchtlingsfrage nicht gerecht geworden sei. Trotzdem gelang es der schlecht aufgestellten Opposition nicht, den Innenminister politisch vorzuführen.

CDU-Ausputzer Lothar Hegemann bemängelte, dass NRW Kosovo-Flüchtlinge ohne Aussicht auf Anerkennung als Asylberechtigte weiter in die Kommunen schickt. Jäger kündigte einen Verstoß beim Bund an, damit künftig alle Flüchtlinge aus dem West-Balkan in beschleunigte Asylverfahren kommen - die Kommunen hatten moniert, dass Balkan-Flüchtlinge ohne Perspektive auf Anerkennung oft monatelang Wohnungen, Heimplätze, Schul- und Kita-Gruppen für "echte Asylbewerber" belegen.

Dass mittlerweile 237 000 unbearbeitete Asylanträge beim Bundesamt für Migration liegen, halten Regierung und Opposition für ein Ärgernis. Verfahren dauern oft sieben Monate und länger. Auch dass die Flüchtlingsaufnahme in NRW seit Jahren im Dauer-Notbetrieb läuft, hielt der Piraten-Abgeordnete Frank Herrmann für unzumutbar. Nötig seien mindestens 20 000 Erstaufnahmeplätze. Staatssekretär Nebe warnte aber vor der Illusion auf schnelle Lösungen: "Die Einrichtung einer Aufnahmeeinrichtung dauert ein bis zwei Jahre."

Jäger wird einige Aufgaben des bislang für die Flüchtlinge zuständigen Regierungspräsidiums Arnsberg auf alle fünf Regierungspräsidien verteilen. Ab September wird zunächst Köln die Verantwortung für die Kontrolle der eigenen Flüchtlingsheime übernehmen. Die Steuerung und Festlegung der Standards bleibt in Arnsberg. Dass Jäger den urlaubenden Regierungspräsidenten Gerd Bollermann durch den Ministerialen Burkhard Schnieder ersetzt hat, stieß in der Opposition allerdings weiter auf heftige Proteste.

"Die Flüchtlingsaufnahme in NRW steht vor dem Kollaps", klagte Biesenbach. "Nach der heutigen Sitzung sehen wir den Eindruck des totalen Organisationsversagens noch untermauert." Die Grünen-Abgeordnete Verena Schäffer forderte, dass Flüchtlinge mindestens sechs Wochen in Landeseinrichtungen bleiben dürfen - heute sind es oft nur zwei Wochen, bis sie auf Kommunen verteilt werden.

SPD-Innenexperte Thomas Stotko warnte die Opposition vor "Parteiengezänk". Vor allem die CDU solle sich in den Kommunen dafür einsetzen, dass Gebäude und Flächen für Einrichtungen bereitgestellt würden.

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