Kriminelle Banden Millionenschaden durch Hartz-IV-Betrug

Berlin · Durch falsche Angaben bei den Jobcentern der Bundesagentur für Arbeit erschlichen sich kriminelle Banden im Jahr 2017 Leistungen Höhe von mindestens 50 Millionen Euro. Viele Fälle gibt es in großstädtischen Ballungsräumen.

Im Umfang von mindestens 50 Millionen Euro haben kriminelle Banden durch falsche Angaben bei den Jobcentern der Bundesagentur für Arbeit (BA) im vergangenen Jahr zu Unrecht Hartz-IV-Leistungen bezogen. „Die BA schätzt auf der Grundlage der stichprobenartigen Erhebungen, dass durch bandenmäßigen Leistungsmissbrauch ein Vermögensschaden von rund 50 Millionen Euro entstanden ist“, heißt es in einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion.

Nach Angaben der Bundesregierung ist der Leistungsmissbrauch „aufgrund bandenmäßiger Kriminalität“ erstmals 2017 durch eine Umfrage unter den Jobcentern ermittelt worden. „Den Berichten zufolge lag die Anzahl der Fälle mit Leistungsmissbrauch bzw. Verdacht auf Leistungsmissbrauch bei 4400“, heißt es in der Antwort. Der Großteil der Fälle fokussiere sich auf großstädtische Ballungsräume. Konkret hätten etwa zwölf Jobcenter in den Großstädten von mehr als 100 Missbrauchsfällen berichtet.

Was heißt bandenmäßige Kriminalität?

Von bandenmäßiger oder organisierter Kriminalität ist auszugehen, wenn Gruppen den Staat systematisch prellen, indem sie etwa falsche Angaben über Familienangehörige, Wohnungen oder geringfügige Beschäftigungen machen, um Hartz-IV-Leistungen zu beziehen.

Wie wird betrogen?

Unter anderem locken gut organisierte Banden gezielt Menschen aus osteuropäischen Ländern, vor allem Rumänien und Bulgarien, mit falschen Versprechungen nach Deutschland. Sie täuschen als Arbeitgeber Beschäftigungsverhältnis vor, um unrechtmäßig Hartz-IV-Zahlungen zu erwirken und den größten Teil davon zu behalten. In anderen Fällen werden unter einer Meldeadresse überdurchschnittlich viele Personen angegeben, die dort überhaupt nicht wohnen.

Wie viel Leistungsmissbräuche gibt es insgesamt?

Neben dem bandenmäßigen Betrug dokumentiert die Bundesanstalt für Arbeit aber auch individuelle Leistungsmissbräuche. Darunter fallen Verstöße gegen Mitteilungs- und Anzeigepflichten des Beziehers der Grundleistung – etwa nicht angezeigtes Arbeitseinkommen oder Vermögen – oder auch Betrug beispielsweise durch Urkundenfälschungen.

Die Gesamtzahl der festgestellten Missbrauchsfälle lag mit 119 541 im vergangenen Jahr nur geringfügig unter der Zahl von 2016 (121 464). Sie nahm gegenüber dem Jahr 2015 wieder deutlich um mehr als 10 000 Fälle zu. Den daraus entstandenen Schaden beziffert die BA der Antwort zufolge im vergangenen Jahr auf 54 Millionen. Rechnet man den Schaden aus bandenmäßigem Missbrauch hinzu, betrug der gesamte Schaden mehr als 100 Millionen Euro.

Wie wird Missbrauch kontrolliert?

In den Jobcentern sind die über 22 000 Mitarbeiter, die sich mit der Leistungsgewährung beschäftigen, auch dafür zuständig, Leistungsmissbräuche aufzudecken. Liegt bei ihnen ein hinreichender Verdacht auf Missbrauch vor, wird der Fall einem für die Ahndung von Ordnungswidrigkeiten zuständigen Mitarbeiter weitergegeben, der dann gegebenenfalls auch die Staatsanwaltschaften einschaltet. Wie aus der Antwort hervorgeht, verfügen viele Jobcenter nur über wenige Mitarbeiter in den Ordnungswidrigkeitsabteilungen. Der Bundesregierung ist zudem nicht bekannt, ob die Jobcenter Mitarbeiter entsprechend schulen und ob Juristen bei der Erkennung von Leistungsmissbrauch eingesetzt werden.

Was ist zu tun?

„Das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit des Rechtsstaates darf nicht durch Nachlässigkeit beim Kampf gegen den Leistungsmissbrauch gefährdet werden. Die bisherigen Maßnahmen sind hierfür vollkommen unzureichend“, kritisierte der sozialpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Pascal Kober. „Das Problem wurde bisher von der Bundesregierung viel zu wenig beachtet.“ Ein Datenabgleich über Betrugserkenntnisse vonseiten des Zollamts oder der Polizei mit dem Jobcenter sollte nach Kobers Meinung erleichtert werden. Auch müsste der Außendienst der Jobcenter personell so ausgestattet sein, dass Überprüfungen durchgeführt werden können und bei Verdacht auf organisierten Leistungsmissbrauch die Zusammenarbeit mit Ermittlungsbehörden intensiviert werden, damit in letzter Konsequenz die Inaugenscheinnahme von Wohnungen auch ohne Zustimmung der Bewohner durch Ermittlungsbehörden erfolgen kann.

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