Vor dem Staatsbesuch Merkel und Erdogan wollen Gemeinsamkeiten betonen

BERLIN · Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan war schon oft in Deutschland, doch noch nie war ein Besuch dort so umstritten wie jetzt. Mit dem Staatsbesuch will er die Zeit des Streits und der Spannungen hinter sich lassen.

Die Vorhut war schon da. Vorfühlen für einen Neustart. Vor drei Wochen hatte Außenminister Heiko Maas einen wichtigen Termin in Ankara. Im Ak Saray, dem überdimensionierten Präsidentenpalast, empfängt ihn Recep Tayyip Erdogan. Der türkische Staatspräsident nimmt sich Zeit für den deutschen Außenminister. Eine Stunde reden sie über Syrien-Krieg, türkische Währungskrise, US-amerikanische Zölle auf Stahl- und Aluminiumimporte aus der Türkei, Menschenrechte, Deutsche in türkischen Gefängnissen – und über Erdogans Staatsbesuch Ende September in Deutschland. Erdogans Außenminister Mevlüt Cavusoglu hofft beim Auftritt mit Maas auf bessere Zeiten: „Wir hatten in den vergangenen Jahren ein Auf und Ab im deutsch-türkischen Verhältnis. Jetzt soll es wieder besser werden.“

Maas und Cavusoglu fliegen da noch in der Nacht gemeinsam von Ankara nach Istanbul. Es muss wirklich dringend sein, wenn Cavusoglu sagt: „Wir wollen jede Sekunde und jede Minute nutzen.“ Am Morgen danach beim Besuch der Deutschen Schule in Istanbul ist Maas für Cavusoglu bereits „Dostum Heiko“, mein Freund Heiko. Geht ganz schnell, wenn es passt. Jetzt soll daraus ein groß angelegter Neustart der belasteten deutsch-türkischen Beziehungen werden.

Erdogan wird an diesem Donnerstag zu einem Staatsbesuch mit allem Prunk und Gloria eintreffen. So wuchtig und aufgeladen, dass die Oppositionspolitiker von Linken, Grünen, FDP und AfD im Bundestag schon die Verhältnismäßigkeit angemahnt und deshalb zahlreich ihre Teilnahme am Staatsbankett für Erdogan abgesagt haben. Dort wird am Freitagabend das deutsche Staatsoberhaupt Frank-Walter Steinmeier, aus seiner Zeit als Außenminister mit Erdogan und den Besonderheiten im deutsch-türkischen Verhältnis vertraut, seine Hoffnung auf einen Neuanfang der Beziehungen beider Länder ansprechen. Steinmeier hatte zur Vorbereitung dieses Besuches vor wenigen Wochen die Journalisten Can Dündar und Mesale Tolu getroffen, die in der Türkei im Gefängnis gesessen hatten.

Merkel nimmt an diesem Bankett zu Ehren des türkischen Präsidenten zwar auch nicht teil. Doch das ist nicht ihr Terrain. Die Bundeskanzlerin war zuletzt 2015 beim Staatsbankett für Queen Elizabeth gesetzt. Merkel wird sich aber am Samstagmorgen ein zweites Mal mit Erdogan zum Frühstück treffen. Ohne Presse. Nur die offiziellen Fotografen beider Delegationen sind zugelassen, wenn sich Merkel und Erdogan bei Tee und Toast tief in die Augen schauen: Wollen wir es für eine gedeihliche Zukunft beider Länder und beider Völker weiter miteinander versuchen? Merkel dürfte nicht vergessen haben, dass Erdogan sie zum Höhepunkt der Entfremdung unter anderem mit Hitler verglichen hatte. Zugleich hatte er Deutschland „Nazi-Methoden“ unterstellt, weil sie seinen Ministern Wahlkampfauftritte in Deutschland vor dem Referendum über die neue türkische Verfassung untersagt hatte.

Dass Erdogan und Merkel in den Tagen seines Staatsbesuches in Deutschland Freunde werden, ist bei der gemeinsamen Vorgeschichte beinahe ausgeschlossen. Beide, die Bundeskanzlerin wie auch der türkische Staatspräsident, werden aber schon bei ihrem ersten gemeinsamen Auftritt am Freitagmittag wieder entdeckte Gemeinsamkeiten betonen. Unverändert strebt die Türkei in die EU. Zudem braucht Erdogan Investitionen und Warenaustausch als Konjunkturspritze für die eigene Wirtschaft.

Nach dem Frühstück mit Merkel reist Erdogan am Samstag nach Köln, wo er die neue Zentralmoschee des Moscheeverbandes Ditib einweihen will. NRW-Ministerpräsident Armin Laschet will an der Eröffnung der Zentralmoschee nicht teilnehmen. Gegen Erdogans Besuch werden sowohl in Berlin wie auch in Köln Gegendemonstrationen erwartet. Ein Motto: „Erdogan not welcome.“

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