Starke Unterschiede in Ländern Mehr Kinder in Ganztagsschulen - Bald Rechtsanspruch?

Gütersloh · Kinderbetreuung auch am Nachmittag: In Ganztagsschulen gehört das dazu. Doch wie viele Kinder besuchen überhaupt eine? Und was würde ein flächendeckender Ausbau kosten? Eine neue Studie der Bertelsmann-Stiftung gibt Aufschluss.

 Schüler eines Gymnasiums in Leinfelden-Echterdingen essen in der Schul-Mensa. Um bis 2025 für 80 Prozent der Schüler einen Ganztagsschulplatz anzubieten, müsste die Politik Milliarden investieren und Zehntausende zusätzliche Pädagogen einstellen.

Schüler eines Gymnasiums in Leinfelden-Echterdingen essen in der Schul-Mensa. Um bis 2025 für 80 Prozent der Schüler einen Ganztagsschulplatz anzubieten, müsste die Politik Milliarden investieren und Zehntausende zusätzliche Pädagogen einstellen.

Foto: Franziska Kraufmann

Einen Rechtsanspruch auf einen Platz in der Ganztagsschule zumindest für Grundschulkinder: Im Bundestagswahlkampf hatten mehrere Parteien das gefordert - darunter Union, SPD und Grüne.

Nach den aktuellsten Zahlen für das Schuljahr 2015/2016 nehmen bundesweit rund vier von zehn Schülern (39,3 Prozent) eine Ganztagsschule in Anspruch. Das geht aus einer neuen Studie der Bertelsmann-Stiftung hervor, die jetzt veröffentlicht wurde. Um bis 2025 für 80 Prozent der Schüler einen Ganztagsschulplatz anzubieten, müsste die Politik weitere 3,3 Millionen Ganztagsplätze schaffen. Kritiker halten das kaum für machbar. Laut Studie würden jährlich 2,6 Milliarden Euro an Personalkosten anfallen.

In den vergangenen Jahren besuchen immer mehr Kinder eine Ganztagsschule. Zum Vergleich: Im Schuljahr 2002/2003 ging jeder Zehnte (9,8 Prozent) dorthin. Deutliche Unterschiede gibt es je nach Bundesland. Im Schuljahr 2015/2016 hatten beim Spitzenreiter Hamburg rund neun von zehn Kindern einen Platz in einer Ganztagsschule (91,5 Prozent) - beim Schlusslicht Bayern sind es mit 16,0 Prozent deutlich weniger.

Um bis 2025 für 80 Prozent der Schüler einen Ganztagsschulplatz zu haben, müsste die Politik 15 Milliarden Euro in Räume und Ausstattung investieren und 47 600 zusätzliche Pädagogen einstellen - darunter 31 400 Lehrkräfte und 16 200 sonstige Pädagogen wie Schulsozialarbeiter oder Erzieher.

Um dann bis 2030 für alle Kinder einen Platz zu haben, müssten pro Jahr mindestens 300 000 zusätzliche Ganztagsschulplätze entstehen. "Das ist eine Größenordnung, die beim Kita- und Krippenausbau selbst in den Zeiten des stärksten Ausbaus nie erreicht wurde", räumt Dirk Zorn ein, Experte zum Thema bei der Bertelsmann-Stiftung.

Thomas Rauschenbach vom Deutschen Jugendinstitut (DJI) in München hält das in der Studie angenommene Ausbautempo für "extrem sportlich" und kaum schaffbar. Er sieht die Annahmen für die Modellrechnung der Bertelsmann-Studie noch aus einem anderen Grund kritisch. "Es wird immer einen Teil der Eltern geben, die ihre Kinder nicht in die Ganztagsschule geben wollen", sagt er. Für jedes Kind einen Ganztagsschulplatz zu schaffen - wie in dem Modell für 2030 vorgesehen -, sei zu viel und gehe am Bedarf der Eltern vorbei.

Laut einer von der Bertelsmann-Stiftung zitierten Umfrage wünschen sich derzeit fast drei von vier Eltern (72 Prozent) einen Platz in einer Ganztagsschule. Auf etwas andere Zahlen kommt das Deutsche Jugendinstitut: Danach haben 85 Prozent der Eltern im Osten Bedarf - aber nur 57 Prozent im Westen.

Die Bertelsmann-Stiftung fordert von der Politik, einen Rechtsanspruch auf einen Ganztagsschulplatz einzuführen. Die Einführung eines Rechtsanspruchs habe auch den Kita- und Krippenausbau erst richtig ins Rollen gebracht, erklärt Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann Stiftung.

Familienministerin Katarina Barley (SPD) forderte einen Rechtsanspruch auf Ganztagsunterricht. "Es ist nicht einzusehen, warum der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz mit dem Schuleintritt erlischt", sagt sie.

SPD-Generalsekretär Hubertus Heil forderte CDU, FDP und Grüne auf, in den am Mittwoch beginnenden Sondierungsgesprächen den Bund bei der Finanzierung von Ganztagsschulen ins Boot zu holen. Dafür müsse das Kooperationsverbot im Grundgesetz abgeschafft werden. "Und zweitens muss der Schwerpunkt bis 2021 der Grundschulbereich sein, damit die Eltern nach der Kita nicht länger in ein tiefes Betreuungsloch fallen."

Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds, Gerd Landsberg, pocht in der "Neuen Osnabrücker Zeitung" auf mehr Investitionen von Bund und Ländern. "Diese gewaltige Aufgabe ist nur von Bund, Ländern und Kommunen gemeinsam zu schultern", sagt er. Ein Rechtsanspruch allein löse außerdem noch keine Probleme im Bildungsbereich.

Wolfgang Stadler von der Arbeiterwohlfahrt appellierte an die Parteien, ihr Wahlversprechen - den Rechtsanspruch auf Betreuung im Grundschulalter - einzuhalten. Aber auch die Qualität von Bildung müsse konsequent ausgebaut werden.

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