Abgedriftet in seine eigene Welt Maaßen wittert Verschwörung hinter Entlassung

Berlin · Seehofer hat es mit einer Personalie zu tun, die in Richtung Verschwörungstheorie abgedriftet ist. Anders kann sich GA-Korrespondent Gregor Mayntz nicht erklären, wie Maaßens andere Wahrnehmungswelt entstanden ist.

Wenn der Chef des Inlandsnachrichtendienstes auf manche Beobachter so wirkt, als sei er in eine andere Wahrnehmungswelt gewechselt, dann ist das beim Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) kein einmaliger Vorgang mehr. Der Gründungspräsident Otto John verschwand 1954 in der DDR, 1985 lief der damalige BfV-Spionageabwehr-Chef Hansjoachim Tiedge zum DDR-Staatssicherheitsdienst über. Und auch der nun geschasste BfV-Präsident Hans-Georg Maaßen war wegen spektakulärer Probleme 2012 geholt worden, um den Dienst nach Aktenschreddern und Unkenntnis über die NSU-Morde wieder fit zu machen.

Die Bedeutung des Inlandsnachrichtendienstes war nach den islamistischen Terroranschlägen auf die USA 2001 immens gewachsen. Und mit ihr auch der personelle Aufwuchs. Gut 3100 Verfassungsschützer arbeiten allein beim Bundesamt in Köln und Berlin. Dazu kommen noch einmal ähnlich viele bei den 16 Landesämtern für Verfassungsschutz. Doch 2011 fuhren diese Dienste einen immensen Ansehensverlust ein, weil sie es nicht geschafft hatten, den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) und zehn Morde an Migranten zusammen zu bringen. Umso wichtiger wurde Maaßens Rolle.

Zumal mit einem seit 2015 zu spürenden Klimawandel in der politischen Debatte. Der Diskurs rutschte nach rechts. Über Jahrzehnte Undenkbares wurde sagbar. Vornehmste Aufgabe des Verfassungsschutzes wurde es in diesem Umfeld, Bedrohungen für die freiheitliche Grundordnung durch rassistische Netzwerke aufzudecken, wie sie sich etwa in der explodierenden Zahl von Brandanschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte niederschlugen.

Zwei Problemstellungen für Maaßen

Maaßen hatte es jedoch mit zwei Problemen zu tun. Einerseits mit dem klassischen Hindernis der Abschottungen, Parallelzuständigkeiten und mangelnden Kommunikation zwischen Bundes- und Landesbehörden. Das begünstigte das verheerende Verbrechen des Weihnachtsmarktattentäters Anis Amri, der über Jahre bei vielen Sicherheitsbehörden auf dem Schirm gewesen war. Maaßen beeilte sich, den schwarzen Peter für das Behördenversagen zügig vom Bundesamt wegzuschieben. In jüngster Zeit waren im Amri-Untersuchungsausschuss des Bundestages daran Zweifel entstanden.

Das zweite Problem Maaßens mit den rechtsextremistischen Bedrohungen war seine Einstellung zu der starken Zunahme der Flüchtlingszahlen seit 2012 und dem Höhepunkt im Jahr 2015. Maaßen (CDU-Mitglied) wurde wiederholt als Kritiker der angeblichen „Grenzöffnung“ wahrgenommen.

Seine Argumentation entsprach in Teilen den Thesen der erstarkenden AfD, und seit dem letzten Sommer häuften sich die Behauptungen, dass Maaßen mit der AfD sympathisiere. Er ließ jedoch den Bericht einer AfD-Aussteigerin zurückweisen, er habe die damalige AfD-Chefin Frauke Petry beraten, wie sie eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz verhindern könne. Und auch die Meldung eines AfD-Abgeordneten, von Maaßen vertrauliche Informationen bekommen zu haben, waren nicht stichhaltig. AfD-Fraktionschef Alexander Gauland bekräftigte, Maaßen nur einmal eingeschaltet zu haben, um den Verdacht zu klären, ein Fraktionsmitarbeiter sei russischer Agent.

Gleichwohl lässt Maaßens Ankündigung, er könne sich eine Zukunft auch als Politiker vorstellen, einiges erahnen. Denn wenn Linke, Grüne, FDP, CSU und CDU Maaßens Rauswurf begrüßen, bleibt nur noch eine Partei übrig. Die AfD feierte prompt den „pflichtbewussten, exzellenten und sorgfältigen Beamten“, führte seine Behauptung von „linksradikalen Kräften in der SPD“ auf sein enormes Wissen zurück und bot ihm eine Parteimitgliedschaft an.

Seehofers Entscheidung, zunächst an Maaßen festzuhalten, wird zum Bumerang für den CSU-Chef selbst. Nicht von ungefähr zeigte sich Seehofer von Maaßen „menschlich enttäuscht“. Der Druck auf Seehofer, den CSU-Vorsitz niederzulegen, wird nun ergänzt durch noch massiveren Druck, auch als Innenminister zurückzutreten.

Ausflug in Richtung Verschwörungstheorie

Seehofer hat es mit einer Personalie zu tun, die in Richtung Verschwörungstheorie abgedriftet ist. Anders ist kaum zu erklären, wie Maaßen darauf kommen kann, hinter der Debatte um seine Chemnitz-Kommentierung hätten Kräfte gestanden, die den Bruch der Koalition provozieren wollten. Eine solche Interpretation kommt ausgerechnet von einem, dessen Job es in den letzten sechs Jahren war, Fakten zu plausiblen Bedrohungsszenarien zu verdichten und den Behörden Vorschläge zur Verhinderung zu machen. Sein Nachfolger dürfte nun auf Jahre damit beschäftigt sein, die Glaubwürdigkeit des Dienstes wiederherzustellen.

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