Lernen aus fatalen Fehlern - NSU-Schock und politische Folgen

München · Nach dem NSU-Desaster hat sich einiges in Bewegung gesetzt: Aufklärer in den Parlamenten durchforsteten Aktenberge, Verfassungsschutzchefs mussten ihren Hut nehmen, erste Reformen wurden angestoßen. Doch die Aufarbeitung ist mühsam und wird noch lange dauern.

 Polizisten stellen in München Absperrgitter vor dem Haupteingang des Landgerichts innerhalb eines für den Prozess errichteten Zelts auf.

Polizisten stellen in München Absperrgitter vor dem Haupteingang des Landgerichts innerhalb eines für den Prozess errichteten Zelts auf.

Foto: dpa

Mit dem NSU-Prozess sind übergroße Erwartungen verbunden. Da ist etwa die Hoffnung, dass nach den beschämenden Versäumnissen der Vergangenheit zumindest die strafrechtliche Aufarbeitung gelingt. Der wochenlange Streit über die Platzvergabe im Gerichtssaal kommt da wenig gelegen. Fest steht: Es ist beispiellos viel schief gelaufen im Fall NSU. Bei der Aufklärung der Morde des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) versagten die Sicherheitsbehörden auf ganzer Linie. Die Terrorbande konnte über Jahre morden und rauben, ohne dass ihnen die Ermittler auf die Spur kamen. Seit mehr als einem Jahr läuft nun die politische Aufarbeitung der Geschehnisse - und auch die ist beschwerlich. Was haben die Untersuchungsausschüsse bisher gebracht?

Nach dem Auffliegen der Terrorzelle im November 2011 nahmen sich mehrere Parlamente ihre Verbrechen und die Ermittlungspannen vor und setzten dazu Untersuchungsausschüsse ein: im Bundestag und in den Landtagen von Thüringen, Sachsen und Bayern. Die parlamentarischen Aufklärer beklagten mehrfach mangelnden Kooperationswillen der Behörden in Bund und Ländern, beschwerten sich über vernichtete oder vorenthaltene Dokumente. Die Ausschüsse brachten bereits viele ernüchternde Erkenntnisse: Die Sicherheitsbehörden sprachen zu wenig miteinander, Akten gingen im Behörden-Wirrwarr unter, Informationen machten an Landes- oder Behördengrenzen halt. Immer mal wieder kamen Ermittler dem Trio bei ihren Nachforschungen nahe. Doch sie stellten die falschen Fragen, erkannten Zusammenhänge nicht - und bis zuletzt auch nicht den rechtsextremen Hintergrund der Morde. Gab es personelle Konsequenzen?

Ja. Mehrere Verfassungsschutzchefs räumten ihre Posten. Der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Heinz Fromm, trat ab, weil in seinem Haus noch nach Auffliegen der Terrorzelle sensible Unterlagen zur rechten Szene im Reißwolf landeten. Auch andere oberste Verfassungsschützer - aus Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Berlin - nahmen wegen Fehlern in ihren Behörden den Hut. In anderen Sicherheitsbehörden blieben personelle Folgen aus. Was hat sich bei den Strukturen getan?

Einige Neuerungen brachten Bund und Länder schnell auf den Weg: das gemeinsame Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus in Köln und Meckenheim zum Beispiel, wo sich die Sicherheitsbehörden ständig über Gefahren aus der rechten Szene austauschen. Oder die Neonazi-Datei, in der Ermittler aus Bund und Ländern Informationen über gewaltbereite Rechtsextremisten bündeln. Zuletzt einigten sich die Innenminister von Bund und Ländern auf Änderungen beim Verfassungsschutz: Geplant sind unter anderem eine zentrale Datei für Informanten des Inlandsgeheimdienstes und einheitliche Kriterien zur Führung dieser V-Leute. Die Verfassungsschützer im Bund sollen die Zusammenarbeit mit den Ländern stärker als bislang koordinieren und wollen mit mehr Transparenz, neuen Schwerpunkten und klaren Akten-Schredder-Regeln aus der Vertrauenskrise kommen. Der Umbau der Sicherheitsbehörden steckt aber noch in den Anfängen. Welche weiteren Folgen gab es?

Der Fall NSU hat die Debatte über ein mögliches Verbot der rechtsextremen NPD neu entfacht. Die Länder preschten vor und beschlossen, einen neuen Anlauf für ein NPD-Verbot zu starten. Ein erster Versuch war 2003 vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert. Bundesregierung und Bundestag haben inzwischen entschieden, keinen eigenen Verbotsantrag zu stellen. Welche Rolle spielt der NSU-Prozess für die politische Aufarbeitung?

Das Verfahren könnte neue Impulse bringen - sofern die Hauptangeklagte Beate Zschäpe ihr Schweigen bricht. Sollte die 38-Jährige entgegen der bisherigen Erwartung aussagen, könnte das womöglich ganz neue Erkenntnisse liefern - und damit neue Arbeit für die Aufklärer.

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