Twitter-Streit mit Drosten Kommunikationswissenschaftlerin: „Bild“ verdreht die Fakten

Karlsruhe · Ein „Bild“-Redakteur schickt Virologe Christian Drosten eine Anfrage per Mail, die kaum beantwortbar ist. Der Virologe der Berliner Charité antwortet nicht, sondern veröffentlicht die Mail auf Twitter. Das sagt eine Kommunikatonswissenschaftlerin zu dem Vorgang.

 Christian Drosten ist Direktor des Instituts für Virologie an der Charité in Berlin.

Christian Drosten ist Direktor des Instituts für Virologie an der Charité in Berlin.

Foto: dpa/Michael Kappeler

Die Karlsruher Kommunikationswissenschaftlerin Annette Leßmöllmann wirft der „Bild“-Zeitung bei der aktuellen Berichterstattung über den Virologen Christian Drosten eine „perfide Rhetorik“ vor. Die Zeitung suggeriere, sie kläre über eine „falsche“ Studie auf und Drosten wolle die Wahrheit verhindern, sagte die Professorin für Wissenschaftskommunikation dem Evangelischen Pressedienst (epd). Dabei zitiere die „Bild“ Forscher, die zwar beispielsweise auf einen statistischen Fehler hinwiesen, aber nicht sagten, die Studie insgesamt sei falsch. Damit verdrehe das Blatt die Fakten, wenn es „wissenschaftsinterne Kritik, die völlig normal ist, dahingehend interpretiert, die Studie von Drosten tauge nichts“.

Drosten hatte am Montagnachmittag über den Kurznachrichtendienst Twitter eine Anfrage des „Bild“-Journalisten Filipp Piatov veröffentlicht, die demnach um 15 Uhr bei ihm eingegangen war und in der Piatov um „kurzfristige Stellungnahme“ bis um 16 Uhr bat. In dem Artikel ging es um die Kritik mehrerer Wissenschaftler an einer Studie über die Viruskonzentration bei verschiedenen Altersgruppen.

Drosten kommentierte das mit den Worten: „Interessant: die #Bild plant eine tendenziöse Berichterstattung über unsere Vorpublikation zu Viruslasten und bemüht dabei Zitatfetzen von Wissenschaftlern ohne Zusammenhang. Ich soll innerhalb von einer Stunde Stellung nehmen. Ich habe Besseres zu tun.“ Er heftete dabei die E-Mail an den Tweet, auf der auch die Kontaktdaten des Journalisten zu sehen waren - unter anderem die Handynummer. Nach etwa eineinhalb Stunden veröffentlichte Drosten seinen Tweet noch einmal - diesmal aber ohne die Kontaktdaten des Reporters. Der erste Tweet dazu wurde gelöscht.

Leßmöllmann betonte: „Wissenschaftler kritisieren sich ständig, das ist völlig normal.“ Die Wissenschaft sei schließlich „keine Faktenmaschine“. In Pandemiezeiten sei das allerdings dann ein Problem, weil viele Menschen von der Wissenschaft gerne harte Fakten hören würden. „Aber wirklich sicheres Wissen gibt es in der Wissenschaft möglicherweise erst nach Jahren, vielleicht auch nie“, sagte sie. Wer sich in diese wissenschaftliche Debatte einschalte, also Gegenargumente oder Kritik bewerten wolle, „der muss sich schon richtig gut auskennen in der Thematik“.

Wegen der „Bild“-Berichterstattung sei zu befürchten, dass die Leserinnen und Leser „Drosten jetzt für einen Scharlatan halten. Das ist fatal.“ Denn so werde Vertrauen in einen Forscher untergraben, der bislang sehr vorsichtig aufgetreten sei und das Wissen und Nicht-Wissen der Forschung sehr transparent gemacht habe.

Dass Drosten sich über Twitter „offensiv und provokant zur Wehr“ setze, bezeichnete die Wissenschaftlerin als nachvollziehbar: „Er ist eine öffentliche Person, für die Glaubwürdigkeit sehr wichtig ist.“ Er habe Transparenz geschaffen für journalistische Praktiken, die er kritikwürdig finde. Mails zu posten, sei allerdings eine Grauzone „und dass die Handynummer zu sehen war, geht zu weit“.

Aber das Problem sei: Die Anfragemail des „Bild“-Journalisten sei eigentlich nicht beantwortbar gewesen. „Die Fragen sehen aus wie Fragen, aber sie sind eigentlich Feststellungen“, betonte sie. „Ich lese diese Fragen so: Ihre Studie ist falsch, Herr Drosten, und wir wollen jetzt von Ihnen hören, dass Sie trotzdem daran festhalten, und das werden wir dann schreiben.“

(epd)
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