Diskussion auf dem Petersberg Köhler kritisiert Rentenpläne der Koalition

KÖNIGSWINTER · Janusz Reiter gehörte in den 80er Jahren in Polen zur Opposition gegen das kommunistische Regime. Nachdem sich sein Land aus dem Ostblock gelöst hatte und eine Demokratie geworden war, wurde er Botschafter in Deutschland und später in den USA. Heute sagt er über sein Land, das seit 16 Jahren in der Nato und elf Jahren in der EU ist: "Wir sind Teil des Westens."

 Durch ein großes Logo fotografiert: (in der ersten Reihe von links) Hans-Gert Pöttering, Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung, Altbundespräsident Horst Köhler, Ex-Botschafter Janusz Reiter, der frühere General Klaus Naumann, Historiker Michael Wolfssohn, Moderator Thomas Gutschker und Hanns Jürgen Küsters, Hauptabteilungsleiter bei der Adenauer-Stiftung.

Durch ein großes Logo fotografiert: (in der ersten Reihe von links) Hans-Gert Pöttering, Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung, Altbundespräsident Horst Köhler, Ex-Botschafter Janusz Reiter, der frühere General Klaus Naumann, Historiker Michael Wolfssohn, Moderator Thomas Gutschker und Hanns Jürgen Küsters, Hauptabteilungsleiter bei der Adenauer-Stiftung.

Foto: Volker Lannert

Doch der 62-Jährige schränkt ein, die Entwicklung seit 1989 sei "nicht irreversibel". Soll heißen: Die Russland/Ukraine-Krise könne "die europäische Ordnung nachhaltig verändern" - wenn der Westen zu viele Fehler mache.

Zur "Zukunft des Westens" - so der Titel der Veranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung - sprachen vor rund 400 Besuchern auf dem Petersberg neben Reiter Altbundespräsident Horst Köhler, der frühere Bundeswehr-Generalinspekteur Klaus Naumann und Historiker Michael Wolfssohn. Reiter meinte, die EU müsse aktiver auftreten und die Außenpolitik besser organisieren, um eine "Renationalisierung der Sicherheitspolitik" zu verhindern und Russland die Stirn zu bieten. Längerfristig gehe es aber darum, das Verhältnis zu Russland zu verbessern. Auch Köhler betonte, dass es "Sicherheit in Europa langfristig nur mit, nicht gegen Russland geben kann".

Der Altbundespräsident nannte in seiner Rede eine ganze Agenda von Aufgaben, der sich der Westen stellen müsse. Köhler mahnte zum Beispiel einen "Kulturwandel in der Finanzindustrie" an, sonst blieben die Steuerzahler in Geiselhaft. Er forderte, Investitionen in Bildung, Ausbildung, Forschung und Innovation "zu einer echten Priorität zu machen". Sonst bliebe die Arbeitslosigkeit hoch und die Chance für Geringqualifizierte niedrig. "Aus Deutschland muss da mehr kommen", sagte das frühere Staatsoberhaupt. Er halte zwar die Linie der Bundesregierung für richtig, Hilfen an EU-Krisenstaaten mit der Erwartung an Reformen zu verbinden. Doch jetzt sei es wichtig, "diese Linie mit einem kraftvollen deutschen Zukunftsprogramm für private und öffentliche Investitionen zu ergänzen und damit auch dem Juncker-Plan Schub zu geben". Die Haushaltslage in Deutschland lasse das zu. Scharfe Kritik äußerte Köhler an den jüngsten Rentenreformen der großen Koalition: Die seien "ein falsches Signal".

Darüber hinaus forderte der Altbundespräsident den Westen auf, "der Welt die Hand zur Zusammenarbeit zu reichen", um ein faireres und entwicklungsfreundlicheres Welthandelssystem auf den Weg zu bringen. Die extreme Armut in weiten Teilen der Welt könne sonst nicht überwunden werden. Und in scharfem Ton setzte Köhler hinzu: "Was ist los in der Welt? Die Jugend hat vielfach keine Perspektive. Glauben wir wirklich, wie können uns beweihräuchern mit unseren Werten und dort tut sich nichts?" Große Hoffnung setze er auf "das Superzukunftsjahr 2015", in dem etwa im UN-Rahmen eine neue globale Entwicklungsagenda verabschiedet werden solle. "Das ist eine Chance für den Westen. Hier kann er Führung beweisen."

"Wir müssen uns alle gegenseitig besser zuhören"

Bevor Horst Köhler zur Adenauer-Stiftung auf den Petersberg fuhr, besuchte er die Ausstellung "Immer bunter. Einwanderungsland Deutschland" im Bonner Haus der Geschichte. Dort sprach mit dem Altbundespräsidenten Bernd Eyermann.

Was hat Sie an der Ausstellung besonders beeindruckt?
Horst Köhler: Sie zeigt, wie wir in unserem Land mit Migration umgegangen sind, was wir zum Teil ganz gut gemacht haben, zum Beispiel Wohnungen zu schaffen oder den Menschen das Erlernen der Sprache zu ermöglichen. Wer will, kann hier im Haus der Geschichte auch eine Anschauung finden, wie wir ein modernes Einwanderungsgesetz in Deutschland gestalten und formulieren können. Denn das brauchen wir. Von daher hoffe ich, dass viele nach Bonn kommen und sich die Ausstellung anschauen. Hier können sie etwas aufnehmen.

Sollten jene, die in Dresden demonstrieren, auch herkommen?
Köhler: Sie sollen wissen, dass es diese Ausstellung gibt. Sie bietet ihnen die Möglichkeit, viel zu erfahren und mehr kennenzulernen von Menschen, die zu uns gekommen sind, weil sie zum Beispiel in Not waren und hier Hilfe gesucht und auch gefunden haben. Wenn das mehr an sie herangetragen wird, so glaube ich, werden sie auch offener sein für eine Diskussion, wie man sich in Deutschland bemüht hat, Fremde aufzunehmen. Das wäre ein wichtiger Schritt, eine offene Diskussion mit allen Menschen in unserem Land zu führen.

Ist Pegida demzufolge eine Bewegung der Unwissenden?
Köhler: Ich bin gegen jede pauschale Qualifizierung, möchte aber doch meinen, dass häufig schlicht ein Mangel an Kenntnissen, auch von Details, zu pauschalen Urteilen bei den Demonstranten führen kann. Es gibt sehr gute Gründe, warum Menschen, die andere kulturelle Wurzeln haben, heute bei uns sind. Diese Menschen haben unserem Land oft viel gegeben. Und es muss vielleicht manchmal noch besser vermittelt werden, dass es ohne Zuzug weiterer Menschen nicht möglich sein wird, unseren Wohlstand in Zukunft zu erhalten.

Wie fanden Sie, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel in Ihrer Neujahrsansprache die Bürger aufgerufen hat, nicht zu den Demonstrationen zu gehen?
Köhler: Ich bin froh, dass es die Kanzlerin so deutlich ausgedrückt hat: Es gibt radikale Stimmen, die müssen eindeutig einen Widerstand bekommen. Was ich für wichtig halte, ist, dass man den vielen, die auch da mitdemonstrieren eine Gelegenheit gibt, ihre Bedenken, Sorgen und Ängste anzuhören. Ich finde, wir müssen uns in diesem Land alle gegenseitig besser zuhören.

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