Terroranschlag vor zehn Jahren Keupstraße wird Thema im NSU-Prozess

KÖLN · Ein Mann liegt auf dem Boden, schmerzverzerrtes Gesicht, sein Kopf ist verbunden und es sind viele blutende Wunden zu sehen. Das Opfer sitzt auf der Keupstraße und wird von Fotografen abgelichtet. Das Bild des schwer verletzten Mannes auf der türkisch geprägten Meile ist vielen Kölnern unvergesslich ins Gedächtnis gebrannt - auch nach zehn Jahren.

Eine Nagelbombe hatte dem Mann die schweren Verletzungen zugefügt. Am Montag werden die Erlebnisse für das Opfer wieder schlagartig in Erinnerung gerufen. Im Münchner NSU-Prozess dreht sich dann alles um das Attentat mit 22 zum Teil schwer verletzten Personen. Alle Opfer hoffen, endlich zu erfahren, was genau am 9. Juni 2004 in Mülheim passiert ist und welche Beweggründe der "Nationalsozialistische Untergrund" gehabt hat.

Dass die Hauptangeklagte Beate Zschäpe allerdings ihr Schweigen bricht, halten viele, die am Montag aus Köln nach München reisen werden, für mehr als unwahrscheinlich. Im Gerichtssaal anwesend sein wird beispielsweise Meral Sahin. Seit einem Jahr ist sie Vorsitzende der Interessengemeinschaft Keupstraße. Gemeinsam mit einem anderen Verein hat sie sechs Busse organisiert für alle, "die dieser Frau ins Gesicht sehen wollen". Gemeint ist die mutmaßliche Rechtsterroristin Zschäpe.

Die Anwohner der Keupstraße, Verletzte der damaligen Tat, Angehörige und viele Kölner wollen wissen, warum die Sicherheitsbehörden jahrelange im Nebel gestochert haben und offenbar keinen Bezug zur rechten Szene gesehen haben. Schutzgelderpressung war ein Thema oder ein Denkzettel im Glücksspiel-Milieu, mehrfach wurde auch der damalige Pate im Rotlicht-Milieu als Drahtzieher des Anschlages genannt. Doch die später bekannt gewordene Terror-Zelle kannten die Kölner Ermittler nicht. Der damals zuständige Ankläger Rainer Wolf sagte: "Wir hatten in den vergangenen Jahren keinen ernstzunehmenden Hinweis auf rechtsextreme Täter".

Über mehrere Jahre versuchten der Oberstaatsanwalt und sein Team, den Fall zu klären, erst zwei Wochen vor der Wolfs Pensionierung gab es Hinweise auf eine rechte Terrorzelle. In einem perfiden "Pink-Panther"-Bekennervideo waren Bezüge zur Keupstraße erkennbar. In dem Film ging es um einen Anschlag auf ein Geschäft an der Probsteigasse in der Kölner Innenstadt. Dabei explodierte eine Keksdose und verletzte eine 19-jährige Deutsch-Iranerin lebensgefährlich. Diese Tat war bereits ein Thema im NSU-Prozess. Dass die Behörden in Köln "blauäugig" vorgegangen seien, bestritt Wolf. So habe die Polizei nach einem sogenannten "Döner-Mord" in Nürnberg Kontakt zu den dortigen Behörden aufgenommen, "aber wir kamen zu keinem abschließenden Ergebnis", sagte ein leitender Beamter der Rundschau.

Der Bezirksbürgermeister in Mülheim, Norbert Fuchs (SPD), erhofft sich von dem Prozess in München auch Aufklärung. "Die Keupstraße wird immer gleich mit dem Anschlag in Verbindung gebracht. Diese traurige Berühmtheit tut ihr nicht gut". Ihn treibt nach all den Jahren vor allem die Frage nach möglichen Hintermännern um. "Unter den Tätern muss jemand gewesen sein, der die örtlichen Gegebenheiten kannte", sagt Fuchs. Wenn nicht endlich geklärt werde, wer das gewesen sei, kehre nie Ruhe ein.

Die über Jahre nicht von Erfolg gekrönten Ermittlungen und die falschen Verdächtigungen ärgern die Bewohner der Keupstraße noch heute. Doch eine Entschuldigung der Ermittler ist für die Vorsitzende der Interessengemeinschaft Keupstraße nicht nötig. "Bei einem Fest in der Straße im vergangenen Jahr hat das Landespolizei-Orchester NRW gemeinsam mit dem türkischen Staatsorchester gespielt. Und alle haben auf türkisch gesungen. Das sagt doch mehr als tausend Worte."

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