Interview mit Hermann Tengler "Keine Kommune erhöht gern die Gewerbesteuer"

Bonn · Breitbandausbau, Verkehrsanbindung und Arbeitskräfteangebot sind wichtige Standortfaktoren für Betriebe. Die Höhe der Gewerbesteuer ist dagegen nicht so entscheidend für Betriebe wie oft angenommen, erklärt Hermann Tengler, Wirtschaftsförderer des Rhein-Sieg-Kreises im Interview.

Welche Rolle spielen die Hebesätze der Gewerbesteuer bei der Standortentscheidung eines Unternehmens?

Hermann Tengler: In der Literatur ist die tatsächliche Bedeutung der Gewerbesteuer umstritten. Bei empirischen Untersuchungen und Unternehmensbefragungen steht die Gewerbesteuer niemals ganz oben. Entscheidend sind der Breitbandausbau, die Verkehrsanbindung und die Verfügbarkeit von Arbeitskräften. Aber die Gewerbesteuer kommt zu anderen Preisfaktoren wie günstigen Grundstückspreisen additiv hinzu. Daher wäre es auch falsch zu sagen, die Höhe hat überhaupt keine Bedeutung.

NRW hat im Durchschnitt der Kommunen die höchsten Gewerbesteuersätze bundesweit. Muss das sein?

Tengler: Keine Kommune erhöht gern die Gewerbesteuer. Es wird meistens aus dem Druck heraus gemacht, dass man verschuldet ist und die Einnahmesituation verbessern muss. Es kann sich aber auf längere Sicht auch als Bumerang erweisen, wenn man als Standort insgesamt an Attraktivität verliert. Dann ziehen Betriebe auch wegen der hohen Gewerbesteuer weg oder siedeln sich erst gar nicht an.

Wie in Bonn und dem Rhein-Sieg-Kreis, wo die Hebesätze ebenfalls hoch sind. Welche Konkurrenz entsteht durch die Nähe zu Rheinland-Pfalz?

Tengler: Der Wettbewerb ist massiv. Dort haben die Kreise Ahrweiler, Neuwied und Altenkirchen etwa im Verhältnis zur Region Bonn-Rhein-Sieg drei Mal so viele Gewerbeflächen ausgewiesen. Aufgrund der ländlichen Struktur besteht nicht ansatzweise ein so hoher Bedarf. Das eigentliche Ziel kann es also nur sein, aus dem Ballungsraum im südlichen NRW Betriebe abzuwerben. Ferner sehen wir eine massive Subventionierung der Grundstückspreise. Während man im Rhein-Sieg-Kreis rund 80 Euro pro Quadratmeter zahlt, sind es im nördlichen Rheinland-Pfalz teilweise weniger als 20 Euro. Und das für voll erschlossene Grundstücke. Das deckt noch nicht einmal die Erschließungskosten, die bei 30 Euro liegen. Die Folge ist nicht gleich die Betriebsverlagerung wie von Haribo. Viel häufiger machen die Betriebe, die sich erweitern wollen, Druck auf die Kommunen, die Grundstückspreise entsprechend zu senken. Das kann bei Grundstücksverkäufen zu deutlichen Einbußen führen.

Sie kritisieren auch die ökologischen Folgen dieses Wettbewerbs?

Tengler: Ja, weil es zulasten von Natur und Umwelt geht. Es entstehen unnötige zusätzliche Siedlungsbereiche, aber auch Pendlerströme, weil die Arbeitnehmer im Bonner Raum und dem Rhein-Sieg-Kreis wohnen bleiben. Die Verkehrssituation ist bekanntlich einer der großen Engpässe bei uns.

Sie haben die Bedeutung des Breitbandausbaus erwähnt.

Tengler: Bei einer Umfrage der IHK Koblenz haben 87,5 Prozent der Betriebe gesagt, das schnelle Internet sei der wichtigste Standortfaktor. Das ist im ländlichen Raum problematisch. Im Rhein-Sieg-Kreis werden wir in den nächsten zwei Jahren flächendeckend eine Geschwindigkeit von mindestens 50 MBit pro Sekunde anbieten können, weil wir zu den ersten Kreisen gehören, die am Förderprogramm von Verkehrsminister Dobrindt erfolgreich teilgenommen haben. Das Investitionsvolumen von 20 Millionen Euro bezahlen der Bund und das Land NRW hälftig.

Spricht man über die Landesgrenzen hinweg über die Probleme?

Tengler: Wir haben über die Landesregierung immer wieder versucht, dass es ein Benehmen mit der Regierung in Mainz gibt, keine Konkurrenzsituation entstehen zu lassen, die letztlich der Umwelt, der Wirtschaft und den Arbeitskräften schadet. Die Betriebe wollen in der Regel wegen der Arbeitskräfte in der Nähe bleiben und nicht mehr als 20 bis 30 Kilometer verlagern. Gerade einfache Arbeiter pendeln nicht weiter, weil es sich für sie nicht rechnet. Oft haben sie auch kein Auto.

Der Rhein-Sieg-Kreis arbeitet an einem Konzept, gemeinsame Gewerbeflächen mit Bonn auszuweisen. Wie weit sind die Pläne gediehen?

Tengler: Wir wollen konkrete Ergebnisse in den nächsten Monaten vorlegen. In Bonn bestehen praktisch keine Potenziale für Gewerbeflächen mehr. Unser Ansatz ist, dass die in Bonn nicht mehr realisierbare Nachfrage dem Rhein-Sieg-Kreis als Bedarf zugeschrieben wird. Nur so können wir von der Bezirksregierung die Genehmigung erhalten, neue Gewerbeflächen auszuweisen. Bei den interkommunalen Gewerbegebieten werden sich die Stadt Bonn und die jeweilige Standortkommune im Kreis Kosten und Nutzen teilen, eine klassische Win-win-Situation.

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