Wichtige Fragen und Antworten Kann der Kohleausstieg das Klima retten?

Düsseldorf · Der Kampf um Hambach ist nur ein Symbol. Die Debatte um Klimawandel, Kohleausstieg und Energiewende spaltet das Land. Da wird viel behauptet, polemisiert und eskaliert.

Der Weltklimarat legte am Montag seinen Bericht vor. Was sind die Kernbotschaften?

Die gute Nachricht ist, dass es die Menschheit noch immer schaffen könnte, die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Die drei anderen Botschaften sind zugleich ernüchternd. Denn erstens braucht es laut Bericht für dieses Ziel sehr schnelle Anstrengungen aller Staaten, um die Treibhausgasemissionen drastisch zu senken. Zweitens blieben die Auswirkungen selbst bei 1,5 Grad erheblich, von vermehrten Wetterextremen bis hin zu einem Aussterben einiger Arten. Käme es aber zu einer Erwärmung um zwei Grad oder mehr, und das ist die dritte ernüchternde Botschaft, würden die Folgen noch schlimmer sein.

Stößt Deutschland nicht verhältnismäßig wenig CO2 aus?

2016 waren die größten Emittenten weltweit China, USA und Indien mit Anteilen an den weltweiten Emissionen von 28, 16 und sechs Prozent. Danach folgten Russland und Japan und auf Platz sechs bereits Deutschland mit einem Anteil von immerhin noch zwei Prozent. Daher drängt die Bundesregierung darauf, mit einem Atom- und irgendwann mit einem Kohleausstieg Zeichen zu setzen.

Müssen wir für das Klima aus der Braunkohle aussteigen?

Grüne und Umweltverbände sagen : ja. Wissenschaftler wie Manuel Frondel vom Essener Institut RWI sagen: nein. „Ein vorzeitiger Kohleausstieg würde den Ausstoß an Kohlendioxid in Europa nicht senken und damit auch dem Klima nicht helfen. Denn wir haben den europäischen Emissionshandel: Jedes Verschmutzungszertifikat, das RWE nicht braucht, geht an andere Versorger (etwa an polnische Kohlekraftwerke) – und die müssen wegen der dann sinkenden Preise weniger zahlen.“ Sinn würde der Ausstieg nur machen, wenn die Bundesregierung die in Deutschland nicht mehr benötigte Zertifikate aufkauft, was aber Milliarden kosten würde. „Daher ist der Schutz von Hambach reine Symbolpolitik, die sehr teuer werden kann“, so Frondel.

Wie wirkt sich der Wegfall von Hambach aus – gehen jetzt die Lichter in NRW aus?

Nein. Zwar werden 40 Prozent des Strombedarfs in NRW über Braunkohle gedeckt, 15 Prozent mit Braunkohle aus Hambach. Rechnerisch. Technisch gesehen speisen die meisten Erzeuger in Deutschland „in einen Topf“ ein. „Nicht einmal die Aluhütten und Chemie-Werke in NRW hängen direkt an den Braunkohle-Kraftwerken, sondern bedienen sich am freien Markt. Fällt der Braunkohle-Strom weg, springen andere Versorger ein“, sagt Frondel. Er betont aber auch: „Allerdings steigt der Strompreis, und das wirkt sich gerade auf die energieintensive Industrie negativ aus.“

Haben RWE und die Landesregierung nicht immer behauptet, ohne Hambach sei die Versorgungssicherheit gefährdet?

RWE betont, am Tagebau Hambach hängen 4000 Megawatt Kraftwerkskapazität in Niederaußem und Neurath. Und das müsse man im Zusammenhang zur Entwicklung auf dem Strommarkt sehen. Auch RWI-Experte Frondel warnt: „Mittelfristig gefährdet der Ausstieg die Versorgung. Im Winter braucht Deutschland über 80 Gigawatt an sicherer Erzeugungskapazität. Dafür benötigen wir konventionelle Kraftwerke, denn nachts scheint keine Sonne und der Wind weht nicht verlässlich.“ Bis 2022 gehen die letzten Atommeiler vom Netz. „Dann werden wir mindestens 10 Gigawatt sichere Kapazität weniger am Netz haben. Diese Lücke müssen wir entweder durch Stromimporte schließen, doch im Winter braucht etwa Frankreich seinen Atomstrom selbst. Oder durch neue Gaskraftwerke, damit aber werden wir abhängiger von russischem Gas.“

Können die anderen Tagebaue für Hambach einspringen?

In Hambach werden im Jahr 40 Millionen Tonnen Braunkohle abgebaut, in Garzweiler 35 Millionen Tonnen. Doch Garzweiler kann laut RWE nicht für Hambach einspringen. „Der Tagebau Garzweiler arbeitet bereits nahezu an der Kapazitätsgrenze. Hier lässt sich kaum mehr Kohle herausholen“, sagt der RWE-Sprecher. Der dritte Tagebau, Inden, ist eisenbahnmäßig ohnehin nicht an die beiden anderen Tagebaue angeschlossen und beliefert nur das Kraftwerk Weisweiler. Hier werden im Jahr rund 20 Millionen Tonnen gefördert.

Was hat das Gericht denn jetzt genau verboten?

Im Zusammenhang mit Hambach gibt es viele Prozesse und das Ganze ist noch nicht zu Ende. Im März 2018 hat die Bezirksregierung Arnsberg den Hauptbetriebsplan genehmigt und den Sofortvollzug erlaubt. Gegen den Sofortvollzug hat der BUND vor dem Verwaltungsgericht Köln geklagt, ist aber unterlegen. Dagegen hat der BUND vor dem Oberverwaltungsgericht Münster geklagt, und das hat am 5. Oktober den Sofortvollzug untersagt. Als nächstes entscheidet das Verwaltungsgericht Köln – und zwar in der Hauptsache – also über die Frage, ob der verbliebene Hambacher Forst grundsätzlich abgeholzt werden darf oder ob das Gebiet nicht doch als Fauna-Flora-Habitat-Gebiet nachgemeldet und erhalten werden muss. Unter anderem in dem Rahmenbetriebsplan von 2014, der noch unter Rot-Grün erlassen wurde, war diese Frage ausführlich geprüft und verneint worden. Danach darf der Wald gerodet werden, weil es genug andere Wälder der Art gibt und wenn RWE genug Ausgleichsflächen schafft.

Was bedeutet der Rodungsstopp für RWE?

Am Montag ging die Aktie weiter um drei Prozent auf Talfahrt und notiert nun bei 18 Euro. Zu den konkreten Folgen für Unternehmen und Arbeitsplätze sagte der RWE-Sprecher: „Wir müssen jetzt das Gerichtsverfahren zur Hauptsache abwarten. Solange sind Rodungen nicht möglich. Entsprechend werden wir die betrieblichen Konsequenzen aus dieser Entscheidung ziehen. Das heißt, wir werden den Betrieb so anpassen, dass die Folgen für das Unternehmen und seine Mitarbeiter so weit wie möglich begrenzt werden.“

Sind die Arbeitsplätze ein Argument?

Von den Tagebauen und Kraftwerken im rheinischen Revier hängen 25.000 Arbeitsplätze ab. Eine Studie der Industrie- und Handelskammern Aachen, Köln und Mittlerer Niederrhein zeigt: 93.000 Beschäftigte sind in energieintensiv produzierenden Unternehmen tätig. Frondel meint dagegen, das Arbeitsplatz- Argument ziehe nicht. „Bei einem Ausstieg bis 2035, wie der Sachverständigenrat für Umweltfragen es vorschlägt, hätten wir noch 17 Jahre Zeit, um den Strukturwandel zu gestalten. Allerdings sollten wir nicht vergessen, dass an der Braunkohle (Tagebau, Kraftwerke) mehr als eine Milliarde an Wertschöpfung hängt. Die würde NRW ans Ausland verlieren.“

Wie sollte man dann den Kohleausstieg dann organisieren?

Dazu berät aktuell eine Kommission der Bundesregierung, die bis Jahresende einen Zeitpfad für den Ausstieg festlegen soll. Frondel lehnt das politische Setzen eines Datums ab. „Der Kohleausstieg ist bereits in Gang. Alles weitere sollte man dem Markt, also dem Emissionshandel, überlassen.“ Laut dem Sachverständigenrat für Umweltfragen beim Bundeswirtschaftsministerium könnte das zu einem Ausstieg schon bis 2030 führen. Weiter betonte Frondel: „Zugleich ist wichtig, dass man China beim Klimaschutz ins Boot holt. Dort geht jede Woche ein neues Kohle-Kraftwerk ans Netz, auch Indien setzt auf Kohle. Deshalb brauchen wir einen global einheitlichen Preis für Kohlendioxid.“

Ähnlich äußert sich auch Ottmar Edenhofer, derzeit kommissarischer Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. Er fordert eine wirksame Bepreisung von CO2-Emissionen. „Entscheidend sind bei der Klimastabilisierung die Investitionszyklen: Wenn wir nicht rasch handeln, dann werden neue Kohlekraftwerke gebaut“, sagte Edenhofer. „Das würde uns fatal festlegen auf eine Zukunft mit hohem Ausstoß von Treibhausgasen.“ Tatsächlich habe ein CO2-Preis drei gute Effekte: die Nutzung fossiler Brennstoffe werde weniger profitabel, die Erzeugung sauberer Energie werde attraktiver, und es entstünden Einnahmen für die Staaten.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort