Gesetz für religiöse Neutralität Justiz ohne Kreuz und Kopftuch

Düsseldorf · Wie viel Religion muss ein säkularer Staat wie Deutschland zulassen? Die Regierung von Nordrhein-Westfalen plant derzeit ein Gesetz für religiöse Neutralität.

 Kopftuch in der Schule: Eine Schülerin nimmt in Hamm am Unterricht teil.

Kopftuch in der Schule: Eine Schülerin nimmt in Hamm am Unterricht teil.

Foto: dpa

Kopftuch, das - laut Duden ein Tuch, das um den Kopf gebunden getragen wird. Im Alphabet danach: Kopftuchmädchen, Kopftuchstreit und Kopftuchverbot. Das verdeutlicht bereits, wie sehr das Kopftuch nicht nur ein Stück Stoff ist, sondern ein Symbol, zu dem jeder eine Meinung hat und über das kompromisslos und harsch diskutiert wird.

Aktuell ist das Kopftuch in Nordrhein-Westfalen wieder Thema. Zum einen hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) in Münster eine Entschädigungsklage kopftuchtragender Lehrerinnen abgelehnt. Die beiden Frauen hatten Entschädigung wegen eines verfassungswidrigen Kopftuchverbots gefordert.

Zum anderen plant die Landesregierung ein Gesetz, das sich auf den ersten Blick um religiöse Neutralität der Justiz dreht, de facto aber kopftuchtragende Frauen im Justizwesen betrifft: Allen Justizbeschäftigten soll es untersagt werden, im Gerichtssaal und bei Ausübung hoheitlicher Tätigkeiten religiös konnotierte Symbole zu tragen. Bedeutet: Für Richter, Staatsanwälte, Protokollanten und Co. sind künftig Kreuz, Kopftuch und Kippa bei öffentlichen Terminen tabu. Eine Gesetzesvorlage, die auf viel Kritik stößt - insbesondere bei den Kirchen.

Als unbeteiligter Dritter muss der Staat Neutralität gewährleisten und als objektiv entscheidende Justiz die Spielregel festlegen, innerhalb derer die immer zahlreicher werdenden Religionsgruppen agieren können. Für Deutschland bedeutet das: christliche Tradition ja, Staatskirche nein. Der säkulare Staat definiert sich nicht religiös. Und doch genießen Religionsgemeinschaften, speziell die christlichen Kirchen, auch rechtlich deutliche Vorteile. Kirchen haben ihr eigenes Arbeitsrecht, an den Schulen wird Religion unterrichtet - und zwar bekenntnisorientiert. Doch dieser Zwischenweg, das Staatliche vom Glauben eigentlich zu trennen, mit den Religionsgemeinschaften aber zusammenzuarbeiten und ihnen Freiheiten und Rechte einzuräumen, funktioniert nur, solange die Religionsgemeinschaften übersichtlich sind, ihre Existenz allgemein akzeptiert wird und sie von keiner anderen Gruppe als Bedrohung wahrgenommen werden.

An dieser Stelle erwachsen derzeit Probleme. Denn übersichtlich ist nichts mehr. Wo vor noch wenigen Jahrzehnten lediglich zwei Konfessionen ein und desselben Glaubens im Spannungsfeld zwischen Staat und Bürger auftraten, sind es heute unterschiedlichste Lebens- und Glaubensformen. Und während die Kirchen kontinuierlich Mitglieder verlieren, entsteht durch Zuwanderung aus muslimisch geprägten Ländern ein deutscher Islam, der mit jeder weiteren Generation mehr Ansprüche erhebt, dieselben Rechte wie die Kirchen zu erlangen und in gleicher Form öffentlich in Erscheinung treten zu können. Und hier liegt das Problem. Denn Tag der offenen Moscheen, Integrationskampagnen und Dialogforen hin oder her: Ein Großteil der Deutschen hat ein Problem mit dem Islam. Das kann man kritisieren oder nachvollziehen, man muss es aber zunächst einmal feststellen.

Und insofern handelt es sich beim Gesetz "zur Stärkung religiöser und weltanschaulicher Neutralität der Justiz des Landes NRW" um eine Stellschraube, mit der vor allem das Kopftuch aus den Gerichtssälen ferngehalten werden soll, denn kippatragende Richter sind ebenso selten wie Staatsanwälte, die ihre Kette mit Kreuz-Anhänger über ihrer Robe tragen. Das Gesetz gilt für alle, trifft aber de facto nur Bestimmte.

Die beiden christlichen Kirchen in NRW kritisieren, dass das Gesetz erheblich in das Grundrecht der Religionsfreiheit eingreife. Angehörige aller religiösen Gruppen müssten gleichermaßen an der Ausübung öffentlicher Gewalt beteiligt werden dürfen. Der Gesetzesentwurf spreche aber einzelnen Personengruppen diese Fähigkeit ab. Doch anders als oft vorgebracht, verwehrt das Gesetz nicht allgemein Musliminnen den Zugang ins Justizwesen, auch nicht gläubigen Musliminnen. Es geht um gläubige Musliminnen mit Kopftuch. Das ist eine Gruppe in einer Gruppe der Gruppe Musliminnen.

Die Justiz repräsentiert nicht die Gesellschaft. Sie ist keine Körperschaft, deren Legitimität sich daraus speist, dass sie Repräsentanten aller gesellschaftlich relevanten Gruppen vereint. In der Justiz kommt nicht das Volk zusammen. Richter repräsentieren das Recht. Selbstverständlich sind sie Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen, hoffentlich nicht nur Juristen in dritter Familiengeneration, sondern auch Arbeiterkinder, Migranten, Gläubige und Nichtgläubige.

Was davon sie aber sind, spielt während der Ausübung ihrer öffentlichen Gewalt keine Rolle. Sie treten im Gerichtssaal nicht als Individuum mit Glauben, Vorlieben und Einstellungen auf, sondern als Gesetzesvertreter.

Zu Recht führt der Jurist und Münsteraner Professor Hinnerk Wißmann an, dass die innere Haltung und die Qualität der Justizmitarbeiter entscheidend sind und Kippa, Kreuz und Kopftuch überhaupt nicht im Widerspruch dazu stehen, neutral dem Rechtsstaat zu dienen. Und natürlich stellt sich die Frage, was es für einen Unterschied macht, ob eine Richterin zur Urteilsverkündung ihr Kopftuch ablegt, die ganze Zeit davor, während der Rechtsfindung am Schreibtisch, ihr Kopftuch aber anbehält. Was also kann der Nutzen eines solchen Gesetzes sein?

Nun, es geht gar nicht darum, wofür ein Kopftuch steht oder wie neutral eine kopftuchtragende Richterin sein kann. Es geht um etwas viel Grundsätzlicheres. Es geht um den berechtigten und legitimen Anspruch der Bürger darauf, in einem Land zu leben, das bei Ausübung seiner öffentlichen Gewalt Staat und Religion strikt voneinander trennt, und dass man diese Trennung auch sieht. Natürlich ist das reinste Symbolik. Aber Symbole sind Kippa, Kreuz und Kopftuch auch.

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