Umstrittener Gesetzentwurf Juristen kritisieren NRW-Epidemiegesetz

Düsseldorf · Die schwarz-gelbe Landesregierung plant ein Epidemiegesetz. Staatsrechtler sehen darin allerdings eine Entmachtung des Landtags und Verstöße gegen Grundrechte. Auch die Opposition fühlt sich überrumpelt.

 Staatskanzlei in Düsseldorf: Rechtswissenschaftler halten Teile des Gesetzes für verfassungswidrig.

Staatskanzlei in Düsseldorf: Rechtswissenschaftler halten Teile des Gesetzes für verfassungswidrig.

Foto: picture alliance / Federico Gamb/Federico Gambarini

Rechtswissenschaftler haben gravierende Bedenken gegenüber des geplanten Epidemiegesetzes der schwarz-gelben Landesregierung. „Ich halte den Gesetzentwurf in der jetzigen Form in einigen Punkten für verfassungswidrig. Eine Reihe der geplanten Bestimmungen greift zu weit in Grundrechte ein und ist zu unbestimmt“, sagte der Staatsrechtler Christoph Degenhart unserer Redaktion. Der Gesetzentwurf sei überzogen: „Er beinhaltet ein viel zu weitreichendes Ermessen und erinnert damit an die Notstandsgesetzgebung für den Spannungs- oder den Verteidigungsfall. Das ist unverhältnismäßig“, so der emeritierte Rechtsprofessor und Verfasser staatsrechtlicher Standardwerke. Auch werde das Kollegialprinzip im Landeskabinett aufgehoben. „Der Gesundheitsminister wird zur maßgeblichen Instanz.“

Der am Samstag beschlossene Kabinettsentwurf soll der Landesregierung im Fall einer Epidemie jetzt, aber auch für die Zukunft, weitreichende Durchgriffsmöglichkeiten erlauben. Mediziner, Pfleger und andere Berufsgruppen könnten zum Dienst im Krankenhaus gezwungen werden. Behörden sollen berechtigt sein, medizinisches und sanitäres Material einschließlich Rohstoffen bei Firmen sicherzustellen. Die Schulministerin könnte im Alleingang Abschlussprüfungen ausfallen lassen, das Sitzenbleiben abschaffen und die Staatsexamensprüfungen für Lehrer verändern. Im Gesetzentwurf heißt es, dies könne greifen, wenn der Schulbetrieb nicht ab dem 20. April wieder in vollem Umfang aufgenommen wird. Die Abiturprüfungen sind laut Schulministerium von dem Gesetzentwurf hingegen nicht betroffen. Die Landesregierung begründet die Novelle mit dringendem Anpassungsbedarf zur Bewältigung der Krise. Es fehlten Regelungen, die dem Land Krisenreaktionsmaßnahmen im Gesundheitssystem ermöglichten und die Handlungsfähigkeit aufrecht erhielten.

Doch insbesondere die Anweisungen für den Dienst in Kliniken stufen Juristen als verfassungswidrig ein: „Bei der Dienstverpflichtung ist der Adressatenkreis zu weit gefasst: die Verpflichtungen gehen deutlich über die herkömmlichen Verpflichtungen zu Notfalldiensten und ähnlichem hinaus“, sagte Degenhart. Ähnlich äußerte sich der Münsteraner Jurist Janbernd Oebbecke. Es müsse intensiver geprüft werden, ob solch massive Eingriffe vom Grundgesetz gedeckt seien. Denn die weitreichendsten, die geplanten Dienstverpflichtungen, seien unbefristet.

Degenhart sieht zugleich das Parlament in seinen Rechten geschwächt: „Die Landesregierung will sich ermächtigen, bestimmte Gesetze wie etwa das Schul- oder Hochschulgesetz zum Teil außer Kraft zu setzen und durch Rechtsverordnungen zu ersetzen. Damit wird das Parlament in verfassungswidriger Weise umgangen.“

Viel zu ungenau sei der Anwendungsbereich des gesamten Gesetzes: „Wann dieses Gesetz anzuwenden ist, ist nicht konkret genug gefasst. Es könnte letztlich bei jeder bedrohlichen und leicht übertragbaren Krankheit angewendet werden. Es stellt sich auch die Frage: Gibt es überhaupt eine Epidemie, die an Landesgrenzen halt macht?“

Auch die Opposition äußerte scharfe Kritik:  „Es handelt sich um eines der drastischsten Gesetze meiner politischen und juristischen Tätigkeit“, sagte SPD-Oppositionschef Thomas Kutschaty. Der frühere NRW-Justizminister bezeichnete den Entwurf als verfassungswidrig und als einen Freibrief für die Regierung. Unter anderem könne Schwarz-Gelb damit sogar Redakteure und andere Berufsgruppen in den Krankenhausdienst beordern. Eine Klage beim Verfassungsgerichtshof schloss Kutschaty nicht aus. SPD- und Grünen-Fraktion wollen dem Gesetz am Mittwoch im Landtag nicht zustimmen.

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