Ergebnisse der Shell-Jugendstudie Jugendliche sind wieder politisch interessiert

Düsseldorf · Die neue Shell-Jugendstudie beschreibt eine Generation, die der Demokratie vertraut, aber nicht denen, die für sie stehen. Und sie verweist auf überraschende Rollenbilder. Vermutlich tun die Älteren gut daran, die Jüngeren noch ernster zu nehmen und ihnen Mitsprache zu erleichtern.

Ergebnisse der Shell-Jugendstudie: Jugendliche sind wieder politisch interessiert
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Wer als Interviewer für die renommierte Shell-Jugendstudie in Deutschland unterwegs ist, braucht eine spezielle Schulung: Mit unbewegter Miene die fast 100 Fragen vorlesen und die Antworten notieren, auch wenn sich die Befragten noch so sehr in Widersprüche verwickeln. Acht von zehn Jugendlichen haben Vertrauen in die Demokratie. Aha! Aber drei von ihnen sagen zugleich, dass es besser wäre, wenn "ein starker Mann oder eine starke Partei alleine regiert". Aha?

Seit den 1950er Jahren hat sich die Jugendstudie zur Bibel der Sozialforschung entwickelt, weil sie wegen ihrer großen Repräsentativität (2572 Befragte) einen verlässlichen Einblick in Denken, Fühlen, Wünsche und Pläne der neuen Generation zwischen zwölf und 25 Jahren ermöglicht und zugleich einen Verlauf nachzeichnet: Alle vier bis fünf Jahre gibt es diesen Einblick in die Generation, die dabei ist, sich ihr eigenes Leben und die Gesellschaft zu erobern.

Der eingangs erwähnte Widerspruch weist auf einen grundlegenden Befund: Diese Generation scheint offen für alles zu sein. Sie sagt Ja zur Demokratie wie kaum eine Generation vor ihr. Und sie sagt Nein zu den Personen und Institutionen dieser Demokratie. Sie ist so gebildet wie keine Generation vor ihr.

Und sie glaubt an platte Verschwörungstheorien. Sie setzt auf den beruflichen Erfolg von Frauen und Männern. Und sie bevorzugt das traditionelle Rollenbild der Frau als Mutter und des Mannes als Ernährer.

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Gerade dieses überraschende Ergebnis macht Familien- und Frauenministerin Franziska Giffey sichtlich am meisten zu schaffen, als sie das 400-Seiten-Werk in Berlin vorstellt. Als Familienministerin freut sie sich darüber, dass sich 68 Prozent der jungen Menschen eigene Kinder wünschen. Doch als Frauenministerin reagiert sie konsterniert auf die "Re-Traditionalisierung" der Rollenerwartungen.

Erstmals hatten die Forscher die Befragten gebeten, sich vorzustellen, sie wären schon 30 und hätten ein zweijähriges Kind. Dann wollen 41 Prozent der Männer in Vollzeit arbeiten, aber nur acht Prozent der Frauen. Umgekehrt wünschen sich nur fünf Prozent der Männer, dass ihre Partnerin in Vollzeit arbeitet, aber 51 Prozent der Frauen möchten, dass ihr Partner die ganze Zeit arbeitet. Die Forscher vermuten, dass sich die jungen Leute an dem orientieren, was sie selbst in ihrer Familie erleben.

Tatsächlich ergeben sich hier signifikante Unterschiede zwischen Ost und West, also zwischen Gebieten mit traditionell besseren und schlechteren Kinderbetreuungsangeboten: Das klassische Rollenbild pflegen nämlich 56 Prozent der West- und 31 Prozent der Ost-Frauen, zugleich 38 Prozent der Ost- und 58 Prozent der Westmänner.

Giffey klammert sich zu ihrer Beruhigung nach Jahrzehnten von Emanzipation und Gleichberechtigung auch an eine andere Studie, nach der der Anteil jener Paare, die gleiche Rollen in der Elternschaft wollen, binnen zehn Jahren von 30 auf 46 Prozent gestiegen sei.

Jugendforscher Klaus Hurrelmann tut sich ebenfalls schwer mit den Plänen vieler junger Frauen, mit der Mutterschaft beruflich deutlich kürzer treten zu wollen. Er spricht von "ungeheurer Bewegung", die in die Entwicklung der Frauen in Deutschland gekommen sei. Sie könnten mit besserem Bildungsstand als die Männer punkten, seien werte- und umweltbewusster als gleichaltrige Männer. Deshalb hat Jugendexperte Ulrich Schneekloth auch die Vermutung, dass sich junge Frauen ganz bewusst für einen Lebensentwurf mit Kind entschlössen und die Sache dann auch selbst in die Hand nehmen wollten. Vielleicht trauten sie es den männlichen Partnern einfach nicht zu.

Die Umfrage absolvierten die Meinungsforscher zwischen Januar und März - also deutlich vor der Breitenwirkung der Fridays-for-Future-Bewegung. Doch schon seinerzeit zeichnete sich ab, dass dahinter keine vorübergehende Gefühlsaufwallung steckt, sondern ein größeres Bewusstsein.

Die Umweltverschmutzung macht 71 Prozent Angst, der Klimawandel 65. Dagegen rangiert die Angst vor Zuwanderung mit 33 Prozent auf dem letzten Rang von zwölf vorgegebenen Antwortmöglichkeiten. Fast drei Viertel glauben, dass sich die Politiker nicht für die Belange der Jugend interessieren. Insgesamt wächst zwar das Vertrauen in Umweltbewegungen, zugleich sinkt aber die Bereitschaft, sich selbst sozial oder politisch zu engagieren. Auf die Frage nach eigenen Aktivitäten auf diesen Feldern sagten vor neun Jahren noch 20 Prozent: nie. Jetzt sagen es 30 Prozent. Das Engagement wächst mit der Bildung und dem Einkommen. Oder wie es Giffey sagt: "Man engagiert sich aus dem wohlbehüteten Wohlstandsnest heraus."

Gleichzeitig macht der wachsende Populismus in Europa auch vor der Jugend in Deutschland nicht halt. Neun Prozent bezeichnen die Forscher als "Nationalpopulisten", die allen populistisch aufgeladenen Statements zustimmen. Weitere 24 Prozent seien "Populismus-Geneigte", also empfänglich für einzelne Vereinfachungen. Von ihnen glauben etwa 86 Prozent an eine "Elitenverschwörung", wonach die Regierung der Bevölkerung nicht die Wahrheit sage. 68 Prozent aller 15- bis 25-Jährigen stimmen der Behauptung zu, in Deutschland dürfe man "nichts Schlechtes über Ausländer sagen, ohne gleich als Rassist beschimpft zu werden". Aber: Eine Mehrheit findet es zugleich gut, so viele Flüchtlinge aufgenommen zu haben.

Die vielbeschworene "Generation Z" verbindet den Buchstaben mit Zuversicht und Zugreifen. Sie ist zugleich offen: Für Demokratie und für Populismus, für Karriere und für Kinder. Vermutlich tun die Älteren gut daran, die Jüngeren noch ernster zu nehmen und ihnen Mitsprache zu erleichtern.

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