Interview mit CDU-Politiker Jens Spahn: „Der Rechtsstaat muss härter werden“

Berlin · Jens Spahn gilt als Galionsfigur der Konservativen in der CDU und als Kritiker von Parteichefin Angela Merkel. Im Interview spricht er über die Jamaika-Gespräche, das Streitthema Migration - und sein Verhältnis zur Bundeskanzlerin.

 Jens Spahn, CDU Präsidiumsmitglied.

Jens Spahn, CDU Präsidiumsmitglied.

Foto: dpa

Herr Spahn, wie ist eigentlich Ihr Verhältnis zur Kanzlerin?

Jens Spahn: Sehr gut.

Wir dachten, Sie sind Merkel-Kritiker?

Spahn: Ich kann mit solchen Etiketten nichts anfangen. Jeder spricht anders, jeder setzt andere Akzente. Das ist völlig normal in einer Volkspartei.

Wer hat Sie denn ins Verhandlungsteam geholt? Die Kanzlerin oder NRW-Ministerpräsident Armin Laschet?

Spahn: Das Präsidium der CDU hat gemeinsam entschieden, wer welche Bereiche übernimmt. Ich bin in den Fachgruppen für Europa und Finanzen.

Wie schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit ein, dass es zu einer Jamaika-Koalition kommt?

Spahn: Es ist noch sehr mühsam. Das klappt nicht als Egotrip, sondern nur als Gruppenreise, bei der alle Beteiligten wollen, dass es klappt. Das Ziel der Reise ist klar: Jamaika. Aber wir starten aus ganz unterschiedlichen Welten und streiten noch über den Weg dahin. Und dass es spätestens bei den Themen Klimaschutz und Migration heftig rumpelt, war doch klar. Alles andere wäre auch komisch. Ministerpräsident Armin Laschet hat für Nordrhein-Westfalen zu Recht sehr klar darauf hingewiesen, dass beim Kohleausstieg Traumtänzerei nichts bringt. Da geht es um die realen Sorgen Tausender Kumpel – und um viel Geld.

Das hat man beim Finanzpapier gemerkt. Gilt die schwarze Null?

Spahn: Ja. Alle vier Partner sind Parteien der Nachhaltigkeit. Nichts ist nachhaltiger, als in so guten Zeiten keine neuen Schulden zu machen. Damit ist auch ein starkes Signal nach Europa verbunden: Wachstum und Solidität, das geht weiterhin zusammen.

Welche Rolle spielen Sie in den Verhandlungen? Der Mann für den rechten Flügel?

Spahn: Schon wieder so ein Etikett. Was meint denn das? Ich koordiniere für die CDU zunächst die Themen Finanzen und Europa. Und ich halte es für entscheidend, dass wir nach den schmerzhaften Verlusten bei der Wahl Vertrauen zurückgewinnen. Jeder fünfte Wähler hat die Spalter von links und rechts gewählt, der Erfolg der AfD hat die politische Statik im Land verändert. Beides ist ein Auftrag an jeden, der Politik für die Mitte der Gesellschaft macht. Jamaika kann ein Erfolgsmodell werden, wenn das Vertrauen in den Rechtsstaat wieder steigt. Sicherheit im öffentlichen Raum und funktionierende rechtsstaatliche Verfahren sind friedensstiftend für jede Gesellschaft.

Was meinen Sie konkret?

Spahn: Da gibt es zahlreiche Beispiele. Für einen deutschen Familienvater ist eine Bewährungsstrafe eine Schmach, auf viele Täter, meist junge Männer aus Nordafrika oder dem Nahen Osten, wirkt die Bewährungsstrafe wie ein Freispruch. Unser Rechtssystem überpriorisiert die Resozialisierung. Wir sollten die Tat in den Mittelpunkt stellen, nicht den Täter. Zudem dauern zu viele Verfahren zu lange oder werden eingestellt. Das uralte Prinzip, dass die Strafe auf dem Fuße folgen und spürbar sein muss, gehört wieder in den Vordergrund. Das alles sind grundsätzliche Fragen, zu denen ein gemeinsames Verständnis von Union, FDP und Grünen heilsam wäre.

Eine Justizreform? Das wäre ohnehin Ländersache.

Spahn: Der Rechtsstaat muss an manchen Stellen härter agieren, an anderen effizienter. Wenn wie in Berlin ein ausreisepflichtiger Mann, der längst hätte außer Landes sein müssen, einen Mord begeht, reißt das tiefe Wunden in der Gesellschaft. Eine neue Koalition muss das Thema anpacken und bundesweit Verfahrens- und Ausreisezentren aufbauen, in denen zentral und schnell über den Verbleib eines Asylbewerbers entschieden wird. Das lässt sich nach dem Vorbild von Heidelberg, übrigens eine Stadt in einem grün-schwarz regierten Land, weiterentwickeln. Wir brauchen ein robustes Mandat für Frontex, um die Außengrenzen zu sichern und den Schleusern das Handwerk zu legen. Für neue Abkommen mit den nordafrikanischen Staaten kann das Türkei-Abkommen Pate stehen. Europäer machen in Tunesien und Marokko Urlaub, diese Länder müssen zu sicheren Herkunftsländern erklärt werden. Die Asylpolitik hat zwei Seiten: Migration und humanitäre Hilfe, ja. Aber nur, wenn es gleichzeitig Kontrolle und Begrenzung durch den Staat gibt. Nur wenn wir die Kontrolle vollständig zurückgewinnen, wird die Akzeptanz wieder steigen.

Die Asylgesetze sind schon schärfer.

Spahn: Ja, das waren richtige Schritte. Es geht aber auch um ein neues Staatsverständnis. Verlässlich, effizient, zielgerichtet, das erwarten die Bürger vom Staat, dafür zahlen sie Steuern. Warum braucht die Planung und Umsetzung einer Umgehungsstraße 30 Jahre? Warum fließen Milliarden in Maßnahmen, die nicht wirken oder schlimmer noch, falsche Anreize setzen?

Gibt es Weihnachten eine Koalitionsvereinbarung?

Spahn: Ich bin da zuversichtlich. Denn ob wir die nötigen Kompromisse schaffen, hängt nicht von der Zeit ab, sondern vom tatsächlichen Willen.

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