Maßnahmen in der Corona-Krise Ist es zu früh, um Kontaktsperren zu lockern?

Berlin · An diesem Mittwoch ist Tag der Entscheidung: Die Ministerpräsidenten beraten mit Angela Merkel über die mögliche Lockerung der Kontaktsperren. Allerdings herrscht Uneinigkeit. Es droht ein Flickenteppich der Bundesländer.

 Leere Straßen, leere Restaurants. Können die Maßnahmen gegen Corona allmählich gelockert werden?

Leere Straßen, leere Restaurants. Können die Maßnahmen gegen Corona allmählich gelockert werden?

Foto: dpa/Uwe Anspach

Die Zeit der rigiden Einschränkungen ist ab Montag vorbei, schrittweise werden die Kontaktsperren in der Corona-Krise gelockert – das ist zumindest die Botschaft aus mehreren Bundesländern vom Dienstag. Damit dürfte es Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in der Schalte mit den Ministerpräsidenten am Mittwoch schwerfallen, das Gegenteil durchzusetzen, wenn sie es denn je geplant hat.

Vorige Woche hatte sie klargestellt, dass sie die Gesamtverantwortung dafür trage, dass das deutsche Gesundheitssystem nicht durch eine zu hohe Zahl von lebensgefährlich Infizierten überfordert werde. Aber sie hatte auch erklärt, dass sie den Empfehlungen der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina einen hohen Wert beimesse. Nun entwickelt sich die Infektionsrate laut Robert Koch-Institut vergleichsweise positiv und die Wissenschaftler der Leopoldina sehen Möglichkeiten, die scharfen Vorsichtsmaßnahmen zu lockern. Allerdings könnte eintreten, wovor Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) via Twitter am Dienstagmorgen warnte: „Es sollte kein Überbietungswettbewerb entstehen, der die Menschen verunsichert.“

Aus den Ländern sind bereits ganz unterschiedliche Signale gekommen. Lösen die Ministerpräsidenten und Kanzlerin das jetzt nicht auf, bekommt Deutschland den Flickenteppich, den doch alle vermeiden wollten, wie sie sagten. NRW jedenfalls preschte mit der Ankündigung vor, bereits am Montag die Schulen wieder schrittweise zu öffnen. Baden-Württemberg will die Klassenzimmer erst ab dem 27. April wieder öffnen. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) dämpfte die Erwartungen: „Niemand von uns sollte die Illusion haben, dass wir ab nächster Woche unser altes Leben zurückbekommen.“ Ihr altes Leben werden die Bürger wohl lange nicht zurückbekommen, aber viele Bundesländer stimmten sie grundsätzlich auf baldige Erleichterungen ein – sagten aber nicht, ab wann.

Für Verwirrung hat die von Merkel so geschätzte Leopoldina gesorgt. So bewertet Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) den Vorschlag einer schnellen Öffnung von Grundschulen skeptisch. Er könne sich nicht vorstellen, dass Hessen diesen Weg gehen werde, sagte er mit Blick auf die Empfehlungen der Wissenschaftler, mit einer schrittweisen Öffnung der Schulen unter anderem in den Grundschulen zu beginnen. Gerade kleine Kinder könnten im Überschwang die strengen Schutzvorkehrungen von Abstand und Händewaschen vergessen. Und diese werden bestehen bleiben – weit über die jetzige Hochphase der Corona-Krise hinaus. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU sagte, es werde „vorsichtige erste Schritte“ in eine neue Normalität geben. Aber: „Es geht darum, mit dem Virus zu leben und leben zu lernen.“

Dazu werden auch Atemschutzmasken gehören. Nur sind davon derzeit noch nicht ausreichend viele für die ganze Bevölkerung zu haben. Wenn also Bus und Bahn nur mit Maske benutzt werden dürfen, könnten etliche Menschen ein Problem haben. Die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer (SPD), empfiehlt zwar: „Einfache Atemmasken können schon ein Halstuch sein, das man um Mund und Nase bindet, wie uns Virologen versichern. Dazu braucht es keine teuren Masken.” Allerdings warnen Experten andererseits, dass solche Halstücher echte Virenschleudern werden können, wenn sie nicht sorgfältig desinfiziert werden.

Uwe Mazura, Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbandes der deutschen Textil- und Modeindustrie, sagt: „Angesichts der ungeheuren Dynamik können wir derzeit keine Größenordnungen für die Maskenproduktion in Deutschland beziffern. Die benötigen Kapazitäten und Mengen zu produzieren, ist eine Herkulesaufgabe.“ Der Verband der Maschinenbauer (VDMA) mahnt langfristige Zusagen des Staates und der Betreiber der Verkehrsunternehmen zur Abnahme von Schutzmasken zu vereinbarten Preisen an. Hauptgeschäftsführer Thilo Brodtmann betont, nur dann könne eine nachhaltige Produktion in Deutschland und Europa aufgebaut und wirtschaftlich betrieben werden.

Außenminister Heiko Maas findet, es sollte eine Tragepflicht von Masken in Betracht gezogen werden – aber erst, „sobald eine ausreichende Verfügbarkeit gesichert ist“. Der SPD-Politiker hält eine Debatte über die Lockerung für dringend notwendig. Aber: „Der Blick über unsere Grenzen, wo es in einigen Ländern leider tagtägliche neue bittere Todeszahlen gibt, zeigt: Jeder Tag, den Kontaktsperren zu früh aufgehoben werden, kann für die Gesundheit vieler Menschen dramatische Folgen haben.“

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) ist überzeugt: „Deutschland ist bisher eine große Tragödie erspart geblieben, weil wir schnell gehandelt haben.“ Seine Motivation für die Menschen hört sich so an: „Wir werden nicht ohne, aber mit weniger Einschränkungen nach dem 20. April leben können.“

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