"Steuerliche Freibeträge für kleine Renten anheben" Interview mit Reiner Holznagel zur Rente

Der Präsident des Bundes der Steuerzahler warnt vor dem deutlichen Anstieg der Sozialbeiträge und will Rentner bei der nachgelagerten Besteuerung entlasten. Mit Reiner Holznagel sprach Birgit Marschall über Pflegeversicherung, Rentenpaket und die Generationengerechtigkeit.

Herr Holznagel, der Beitrag zur Pflegeversicherung soll 2019 stark steigen, der Beitrag zur Rentenversicherung kann gleichzeitig wegen des Rentenpakets nicht sinken. Ist die 40-Prozent-Grenze bei den Lohnnebenkosten noch zu halten?

Reiner Holznagel: Bei der Pflege war abzusehen, dass die Beiträge steigen werden, weil wir immer mehr Pflegefälle haben und massiv Pflegepersonal eingestellt werden muss. Vor diesem Hintergrund ist es umso ärgerlicher, dass die große Koalition mit der weiteren Anhebung der Mütterrente und zusätzlicher Wohltaten für Rentner gleichzeitig die Leistungen der Rentenversicherung stark ausweitet. Die eigentlich mögliche Senkung des Rentenbeitrags bleibt deshalb aus – daher wird der Rentenbeitrag in den nächsten Jahren stärker steigen als ohne diese Maßnahmen. Umso wichtiger ist es, Anfang 2019 wenigstens den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung deutlich spürbar zu senken, um die 40-Prozent-Grenze zu halten.

Wie hoch muss die Entlastung hier sein?

Holznagel: Der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung muss 2019 mindestens um 0,5 Prozentpunkte gesenkt werden. Wir halten sogar eine Senkung des Beitrags um 0,6 Prozentpunkte für vertretbar und erforderlich, weil die Arbeitslosenversicherung dann immer noch Überschüsse erzielen würde. Fakt ist, dass die Bundesagentur für Arbeit, gemessen am Halbjahr 2010, heute 52 Prozent mehr Beitragseinnahmen hat, gleichzeitig aber 22 Prozent weniger für das Arbeitslosengeld ausgibt. Wenn nicht so viel Geld vorhanden wäre, würden bei der SPD und anderen nicht so viele Ideen für neue Wohlfühlprogramme entstehen.

Warum sind Sie eigentlich gegen die Anhebung der Mütterrenten?

Holznagel: Mütterrente – das ist ein geschicktes Schlagwort der Koalition, das sich einfach gut anhört. Natürlich, die Mütter haben in der Vergangenheit Großes geleistet. Die Frage ist aber, ob es dieser Maßnahme wirklich bedarf, ob sie zielgerichtet Altersarmut verringert und wie sie finanziert wird. Wir haben durch die Anhebung der Mütterrenten einen so erheblichen Ausgabenzuwachs bei der Rentenversicherung, dass schon allein dieser einen Beitragsdruck nach oben auslöst. Ich frage mich, ob der Großteil der Mütter wirklich will, dass ihre Kinder und Enkel so stark zusätzlich belastet werden und sogar deren Jobs durch die höheren Mütterrenten in Gefahr geraten könnten. Auch der Steuerzuschuss zur Rentenversicherung wird stark steigen müssen. Das ist dann das Geld, das uns für mehr Bildungsausgaben fehlt.

Viele Neu-Rentner sind überrascht, wenn sie eine Aufforderung zur Steuererklärung erhalten.

Holznagel: Die nachgelagerte Besteuerung wirkt bereits spürbar und schon kleinere und mittlere Renten werden stark besteuert. Die steuerlichen Freibeträge für kleine Renten müssen angehoben werden, damit die Renten in Zukunft noch auskömmlich sind. Ich erwarte, dass die Rentenkommission auch zur Anhebung der Steuerfreibeträge Vorschläge für Rentner unterbreitet.

Ist es generationengerecht, wenn das Rentenniveau bis 2025 auf 48 Prozent festgeschrieben wird, danach aber nicht auf diesem Niveau gehalten werden kann, während die jüngeren Beitragszahler gleichzeitig stärker belastet werden?

Holznagel: In der Rentenpolitik bewegen wir uns immer mehr von einer generationengerechten Lastenverteilung weg. Denn mit Blick auf die demografische Entwicklung wollen Union und SPD die stark steigende Zahl der Rentner unter den Wählern für sich gewinnen. Häufig ist die Angst der Rentner vor Altersarmut ungerechtfertigt, weil nur ein kleiner Kreis tatsächlich auf Grundsicherung angewiesen ist. Dennoch muss die Politik diesen Ängsten begegnen. Das darf aber nicht auf Kosten der Generationengerechtigkeit gehen. Es darf nicht sein, dass wir eine Rentenpolitik machen, die heutige und zukünftige Generationen überproportional teuer im Verhältnis zur der Vergangenheit bezahlen müssen.

Die große Koalition hat ein Familienentlastungspaket auf den Weg gebracht. Warum reicht Ihnen das nicht?

Holznagel: Die Koalition setzt damit weitgehend das um, wozu sie ohnehin verpflichtet ist. Der Gesetzgeber ist verfassungsrechtlich gezwungen, den Grundfreibetrag anzuheben. Auch die kalte Progression abzubauen, sehe ich als Pflichtprogramm. Wir hätten uns deutlich mehr steuerliche Entlastungen gewünscht.

Der Soli-Abbau sollte nicht erst 2021 kommen?

Holznagel: Wir sollten jetzt schon den Einstieg in den Soli-Ausstieg beschließen, also 2019 mit dem Soli-Abbau beginnen. In dieser Legislaturperiode müsste der Soli komplett entfallen – und zwar für alle Steuerzahler. Der Soli als Sondersteuer ist nicht mehr verfassungsfest, er steht rechtlich auf tönernen Füßen und hat auch seine politische Legitimation längst verloren: Seit Jahren nimmt der Bund viel mehr Geld über den Soli ein, als er zur finanziellen Unterstützung der neuen Bundesländer tatsächlich ausgibt. Was passiert, wenn eine verfassungswidrige Steuer erhoben wird, haben wir bei der Kernbrennstoffsteuer gesehen: Hinterher müssen wieder alle Steuerzahler dafür bluten. 1995 bei der Einführung des Solidarpakts II haben alle Politiker gesagt, der Soli sei eine befristete Steuer speziell für den „Aufbau Ost“. Diese Leistungen fallen Ende 2019 weg, deswegen muss die Politik dieses Versprechen nun einhalten. Das gehört zur Redlichkeit und Glaubwürdigkeit der Politik dazu.

Warum muss der Soli grundsätzlich auch für die bestverdienenden zehn Prozent der Steuerzahler wegfallen?

Holznagel: Der gesamte Einkommensteuertarif plus Soli ist ja so ausgestaltet, dass gerade die oberen Einkommen überproportional mehr bezahlen als untere und mittlere Einkommen. Hier muss man vor dem Hintergrund des Prinzips der gleichmäßigen Besteuerung sagen: Diese sehr starke Belastung oberer Einkommen ist einfach unfair. Es ist übrigens ein Trugschluss zu glauben, dass untere Einkommen ab 2021 vom Soli komplett befreit würden: Er wird auch weiterhin auf Kapitalerträge von Kleinsparern und für Betriebe fällig – auch die kleineren unter ihnen.

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