Angst vor dem Terror Im Belagerungszustand

Die Terrorhinweise für das Fußball-Länderspiel in Hannover verunsichert die Deutschen. Wie gehen wir mit der Gefahr um?

 Wahrscheinlich ein alltägliches Bild in diesem Jahr: Eine Polizeipatrouille auf dem Frankfurter Weihnachtsmarkt 2014.

Wahrscheinlich ein alltägliches Bild in diesem Jahr: Eine Polizeipatrouille auf dem Frankfurter Weihnachtsmarkt 2014.

Foto: dpa

Der Tag danach gehört dem Beschwören und Beschwichtigen. Die Bürger sollten nicht in Angst und Panik verfallen, mahnt NRW-Innenminister Ralf Jäger. Er selbst werde ganz normal mit der Familie zum Weihnachtsmarkt und zum Fußballspiel seines Heimatvereins Duisburg in Düsseldorf gehen. Jägers Amtskollege Peter Beuth aus Hessen betont: "Wir sollten uns nicht verunsichern lassen und unser Leben völlig verändern." Selbst die Kanzlerin sieht sich veranlasst, den Bürgern zuzureden. Natürlich sei es möglich, "dass wir weiterhin große Veranstaltungen durchführen" und "dass wir uns an diesen Veranstaltungen erfreuen können".

Die kurzfristige Absage des Fußball-Länderspiels in Hannover wegen der Gefahr eines terroristischen Anschlags am Vorabend hat die Menschen verunsichert. Denn welche Großveranstaltung in Deutschland kann noch als sicher gelten wenn nicht ein Länderspiel, bei dem Kanzlerin und Minister auf der Tribüne sitzen wollten?

Die Hintergründe der Tat, das Netzwerk, das die Anschläge ermöglichte, sind erst in Ansätzen sichtbar. Dass es nach wie vor aktive Terrorzellen gibt, beweist die Aktion der französischen Polizei im Pariser Viertel St. Denis mit mindestens zwei Toten. Und nun eröffnen in diesen Tagen überall in Deutschland die Weihnachtsmärkte, in normalen Jahren Anziehungspunkt für Millionen Menschen aus dem In- und Ausland. Könnten nicht gerade diese Traditionsveranstaltungen mit ihrem christlichen Hintergrund ein verlockendes Ziel sein für islamistische Terroristen?

Die Profis der inneren Sicherheit jedenfalls sehen Deutschland im Zentrum der terroristischen Gefahrenzone. "Deutschland ist Feind des IS. So sieht der IS uns - genauso wie andere westliche Staaten", sagt zum Beispiel Hans-Georg Maaßen, der Präsident des Verfassungsschutzes. "Wenn der IS uns treffen kann, wenn der IS Terroranschläge in Deutschland durchführen kann, wird er es tun." Der Präsident des Bundeskriminalamts (BKA), Holger Münch, warnt vor Anschlägen in Deutschland, die mit denen in Paris vergleichbar sein könnten. "Die Anschlagsserie in Frankreich kann Nachahmungstätern als Vorbild oder zumindest Ansporn für eigene Planungen dienen", sagt Münch im Spiegel. Er beobachte mit Sorge die teils "euphorischen" Reaktionen im Internet auf die Attentate.

Wie sehr ein einziger Satz zu weiterer Verunsicherung führen kann, demonstrierte ausgerechnet Thomas de Maizière, als Bundesinnenminister der oberste Verantwortliche für die innere Sicherheit des Landes. Seine Funktion gebietet Gelassenheit und verbietet zweideutige Aussagen. Aber als de Maizière die Absage des Fußball-Länderspiels in Hannover erläutert, sagt er zur Begründung, warum er Informationen zurückhalten müsse: "Ein Teil dieser Antworten würde die Bevölkerung verunsichern." Eine ohnehin von der Spielabsage beunruhigte und von den Pariser Terroranschlägen aufgewühlte millionenstarke Fernsehgemeinde fragt sich: Welche Informationen sind das, dass der Bundesinnenminister sie für so beunruhigend erachtet, dass er sie der Bevölkerung nicht zumuten kann?

Eines ihrer Ziele haben die Terroristen von Paris jedenfalls auch in Deutschland erreicht. Sie haben einen "Zustand des Schreckens" erzeugt und die Bevölkerung eingeschüchtert, Terror-Tatbestände, wie sie die Resolution 1566 des UN-Sicherheitsrats benennt, die als Grundlage der internationalen Terrorismusbekämpfung dient.

Greifbar ist die Gefährdung in Deutschland bislang allerdings nicht, die allgemeine Verunsicherung ist auch Resultat der Ungewissheit, der Mutmaßungen und Fehlalarme. In Hannover verliefen die polizeilichen Ermittlungen im Sand. "Es gab keine Festnahmen und keinen Sprengstoff", resümierte eine Polizeisprecherin gestern nüchtern. Beim Polizei-Großeinsatz in Alsdorf bei Aachen nahmen die eingesetzten Spezialkräfte nach einem Tipp zwar sieben Personen fest, aber alle erwiesen sich als unbescholten und können nun mit einem Entschuldigungsschreiben der Polizei rechnen. Auch im Fall eines festgenommenen Mannes in Arnsberg haben die Behörden bisher keine Belege, dass es sich um einen Mitwisser der Pariser Bombenattentäter gehandelt hat. Bundesweit gab es 100 Hinweise aus der Bevölkerung auf mögliche IS-Kämpfer in Flüchtlingsheimen - bisher ohne konkrete Ergebnisse. "Die Theorie, dass sich in Flüchtlingsheimen haufenweise IS-Kämpfer befinden, ist eine Tatarenmeldung", sagt NRW-Innenminister Jäger.

Die Flut der Informationen stellt die Sicherheitsbehörden vor massive Probleme. Viele Bürger wollen etwas gesehen oder gehört haben wie die Saarländerin, die in Alsdorf den Pariser Haupttäter Salah Abdeslam erkannt haben wollte. "Es gehört zu den schwierigsten Aufgaben der Sicherheitsbehörden, die Seriosität, die Glaubwürdigkeit, die Ernsthaftigkeit solcher Hinweise zu bewerten", erklärt Bundesinnenminister de Maizière. "Denn schlägt man solche Hinweise in den Wind, kann das fatale Auswirkungen haben. Nimmt man jede Aussage für bare Münze, dann betreiben wir das Geschäft derer, die mit diesen Hinweisen Angst und Schrecken verbreiten wollen."

Verfassungsschutzpräsident Maaßen stimmt die Deutschen jedenfalls darauf ein, dass sie sich in Sachen Terrorbedrohung eine dickeres Fell zulegen müssen. Andere Staaten, etwa die USA oder Großbritannien, hätten schon seit "vielen vielen Jahren Probleme mit terroristischen Bedrohungen", sagt Maaßen. Fußballspiele, Konzerte und andere Veranstaltungen, bei denen viele Menschen zusammenkommen, würden dort trotzdem stattfinden. Maaßen: "Ich denke, das werden wir auch können."

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort