Angela Merkel zu Besuch in Bonn "Ich würde gerne weiter für Sie arbeiten"

BONN · Die Kandidatin im Bundestagswahlkreis Vorpommern-Rügen, Vorpommern-Greifswald ist auf die Minute pünktlich. Was man nicht von all ihren Mitstreitern sagen kann. Samstagmittag. High Noon auf dem Bonner Marktplatz. Angela Merkel zieht ein. Zu einer Musik, die Siegesfanfaren sehr nahe kommt. Einmal von hinten durch die Mitte bis nach vorn zum Podium.

Das macht sie immer so, ganz gleich ob in Münster oder Recklinghausen am Vortag oder später in Wiesbaden oder heute in Ilmenau und Zwickau. Der Wahlkampf der CDU ist gut geölt. Da wird nichts dem Zufall überlassen. Die Bühne ist groß, aber nicht zu groß.

Daneben links die unvermeidliche musikalische Einheiztruppe. Diesmal heißt sie "nobel composition". Rechts der abgetrennte Block für die Presse. Direkt vor der Tribüne Stühle für die örtlichen Kandidaten, dahinter Bierbänke fürs Publikum. Es ist eher alt als jung. Rund um die Absperrungen drückt sich die Laufkundschaft und es gibt ein bisschen Protest.

Jusos halten ein paar Papp-Panzer hoch (gegen Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien) oder ein Plakat mit der hübschen Aufschrift: "Sänk ju for se gud Edjukation." Das ist es dann auch schon an "Störung".

Es ist gemütlich an diesem Samstagmittag. Der CDU-Wahlkampf ist orange. Es gibt Sonnenhütchen in Orange. "Angie"-Schilder zum Winken, in Orange. Wassereis in Orange - zum Abkühlen. Und Liegestühle, auch in Orange. Noch ist Sommer in Bonn. Später, als es anfängt zu tröpfeln, gibt es Regencapes und Regenschirme in Orange.

Die Kandidatin trägt - orange. Mit drei vier schnellen Schritten hat Angela Merkel die Bühne erobert, stellt sich brav an den "Talk-Tisch", der bei keinem Wahlkampfauftritt fehlt und raunt ihrem Nachbarn, CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe, zu: "Wo ist denn der Laschet?" Gröhe, der extra ein Schützenfest in Neuss für seine Chefin hat sausen lassen, kann sie beruhigen.

Der stehe im Stau, werde es aber schaffen. Laschet drückt sich wenige Minuten später von hinten auf die Bühne. Gerade noch rechtzeitig, denn er muss die Begrüßungsrede bei diesem ersten Wahlkampfauftritt der Kanzlerin im Rheinland in dieser Session halten. Laschet trägt - orange. Nicht als Jackett, wie die Kanzlerin, sondern als Krawatte.

Der CDU-Landesvorsitzende kann viele begrüßen, Kandidaten aus Bonn, Kandidaten aus Köln, auch einige, die schon Bundestagsabgeordnete sind. Nicht begrüßen kann er seinen Vorgänger Norbert Röttgen, von Merkel vor 15 Monaten als Umweltminister hinausgeworfen. Röttgen fehlt genauso wie seine Kandidaten-Kollegin Elisabeth Winkelmeier-Becker.

Beide haben wohl, so spekulieren der CDU-Kreisvorsitzende Philipp Lerch und der Europaabgeordnete Axel Voss, Termine in ihren Wahlkreisen. Die Kanzlerin dagegen stellt sich. Sie weiß auch an diesem Morgen, was von ihr erwartet wird. Also gibt es in der kleinen Talk-Runde zunächst mal Zückerchen für die Bonner und die Kandidatin Claudia Lücking-Michel.

Man stehe ohne Wenn und Aber, sagt sie, zum Bonn-Berlin-Gesetz und setzt - gewagt, gewagt - hinzu, da gebe es "ja auch ganz klare Zahlenvorgaben". Aber niemand auf dem Podium fragt sie, warum die nicht eingehalten werden.

Merkel erinnert an ihre acht Ministerjahre in Bonn und an ihr zwiespältiges Empfinden des Karnevals. Meist, sagt sie, sei sie an diesen Tagen nach Mecklenburg-Vorpommern geflüchtet. Doch ehe es für die Bonner zu bös wird, berichtet sie, Karneval im Berliner Kanzleramt sei mittlerweile eine Institution mit Prinzenpaaren aus allen Bundesländern.

Mehr noch: Beim politischen Aschermittwoch in "MäcPomm" habe man zunächst ebenfalls ein Prinzenpaar auftreten lassen, bis man verstanden habe, was der Satz "Am Aschermittwoch ist alles vorbei" zu bedeuten hat.

Das Publikum ist amüsiert. Es erträgt es sogar, dass Merkel die Bonner Beamtenschaft mit der Bemerkung ärgert, sie sei in ihrer Regierungszeit am Rhein trotz Montagsanreise mit dem Flieger aus Berlin "vor allen anderen im Büro" gewesen.

[kein Linktext vorhanden]Der Versuch der Moderatorin, der Kanzlerin ein Erinnerungsstück, ein Kleidungsstück vielleicht, fürs Haus der Geschichte abzuluchsen, geht dann fehl. Selbst die Erwähnung von Hans-Dietrich Genschers gelbem Pullover oder Entwicklungsminister Dirk Niebels Schiebermütze kann Merkel nicht erweichen: "Ich arbeite für die Zukunft, nicht an meiner Geschichte."

Dann - Armin Laschet hat seine Begrüßungsworte gesprochen - wird es politisch, wird es wahlkampfernst. Oder was man dafür hält. "Am 22. September", ruft die Kanzlerkandidatin ihren potenziellen Wählern zu, "geht es in erster Linie nicht um uns, sondern um Sie, darum, was Sie sich vorstellen." Die stellen sich offensichtlich in erster Linie die Kanzlerin vor.

Merkel lobt die Vielfalt der Union, der sie Gleichmacherei der SPD entgegensetzt. Sie nimmt die Grünen wegen ihres fleischlosen Tages auf die Schippe, aber das war es dann auch schon mit dem politischen Gegner. Einmal noch wird Gerhard Schröder als Reformvater der Agenda 2010 genannt, keinmal ihr Herausforderer Peer Steinbrück.

Die Kanzlerin bilanziert den Abbau von Arbeitslosigkeit, lehnt höhere Steuern ab und propagiert mehr Bildung: "Wir müssen noch besser werden." Was auch für den Euro gelte. Ziel: "Ich will, dass uns in Europa das gelingt, was wir in Deutschland geschafft haben. Wir sind stärker aus der Krise herausgekommen, als wir hineingegangen sind." Aber Solidarität gebe es nur, wenn die Krisenländer auch Eigenverantwortung zeigten.

Dann gibt es noch ein bisschen Fortbildung für alle. Merkel rechnet vor: Die 80 Millionen Deutschen machen bei 7,2 Milliarden Menschen auf der Erde nur ein gutes Prozent aus, selbst EU-Europa bringe es nur auf sieben Prozent. Da ist die Welt plötzlich ganz groß und Deutschland ganz klein.

Und die Gegenrechnung lautet: Diese sieben Prozent Europäer erwirtschafteten aber 25 Prozent des Weltbruttosozialprodukts, Und: 50 Prozent aller Sozialleistungen auf der Welt würden in der EU gezahlt.

Da staunt das Bonner Publikum. "Angie" sagt noch: "Ich würde gerne weiter für Sie arbeiten". Alle singen die Nationalhymne. Dann ist sie nach einer knappen Stunde wieder weg. Und die Menschen auf dem Markt verlassen die "nobel composition" in dem sicheren Gefühl, die alte und neue Kanzlerin gesehen zu haben. In Orange.

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