Interview mit Historiker Rudolf Lill "Ich erhoffe eine Amtszeit des Dialogs"

BONN · Vor knapp zehn Monaten haben namhafte Katholiken aus dem Kölner Erzbistum Papst Franziskus um dessen "starke Hilfe für eine Erneuerung auch in unserer Erzdiözese" gebeten. Einer davon: der Kölner Historiker Rudolf Lill. Mit ihm sprach Bernd Eyermann.

Am Samstag wird Erzbischof Rainer Maria Woelki in Köln eingeführt. Wie groß ist Ihre Hoffnung, dass der neue Kardinal für Erneuerung der Erzdiözese sorgt?
Rudolf Lill: Ich bin gedämpft optimistisch. Denn es stellt sich die Frage, ob Woelki den von Papst Johannes XXIII. 1963 so genannten Geist der Freiheit in der Kölner Kirche wiederherstellt. Durch das Wirken von Kardinal Meisner ist der unterdrückt worden.

Wie müsste er sein Amt führen?
Lill: Der neue Erzbischof müsste vor Entscheidungen mit allen Betroffenen sprechen und sich ergebnisoffen zeigen. Das hat uns ja 25 Jahre gefehlt. Außerdem müsste er die Kirche wieder mehr öffnen. Ich will nicht immer auf den bedeutenden Kardinal Frings verweisen, aber der verkörperte eine Tradition, welche die Kirche mitten in der Gesellschaft stehen und mitreden ließ. Dahin müsste man zurückkehren, wenn die christliche Kirche auch weiterhin eine positive Rolle in der Gesellschaft wahrnehmen soll.

Glauben Sie, dass der neue Erzbischof das tun wird?
Lill: Das ist schwer zu sagen. Woelki ist zwar im Umkreis Meisners aufgestiegen, es spricht aber vieles dafür, dass er sich von dessen Regierungsstil emanzipiert hat.

Aus Ihrer Gruppe heraus ist gefordert worden, der neue Erzbischof müsse dialogfähig sein und das Rheinland verstehen. Trifft das auf Woelki zu?
Lill: Es scheint mir, dass er sich in Berlin als dialogfähig erwiesen hat, das heißt: den Menschen zugehört, sie aber nicht von oben herab belehrt hat. Das Rheinland verstehen heißt nicht, auf Karnevalssitzungen zu gehen, sondern eine gewisse Liberalität mit dem Glauben zu verbinden. Ich hoffe, dass er das inzwischen gelernt hat.

In Berlin ist er schon mit Papst Franziskus verglichen worden.
Lill: Franziskus hat sich zur Freiheit des Denkens, Redens und Diskutierens bekannt. Mit den Veränderungen in Rom erhoffe ich mir für Köln eine Amtszeit des Dialogs, des Nachdenkens und der Konzentration auf das Wesentliche des christlichen Glaubens. Denn dieser christliche Glaube ist in den vergangenen Jahrzehnten von den Päpsten überfrachtet worden mit Weisungen, Geboten und Verboten, die nicht aus der Bibel oder der kirchlichen Tradition zu entnehmen sind.

Können Sie Beispiele nennen?
Lill: Etwa die Ehe- und Familienmoral und darüber hinaus die gesamte Bioethik. Da muss eine echte Diskussion darüber geführt werden, was in der Bibel steht, was das Lehramt später hinzugefügt hat, und was die moderne Naturwissenschaft sowie Philosophie und Psychologie uns lehren. Es geht nicht darum, die Einzelheiten des sexuellen und familiären Lebens zu regulieren, sondern die Barmherzigkeit Gottes und die Solidarität zwischen den Menschen zu verkünden und vorzuleben, mit ihnen in ihrer Sprache zu diskutieren. Ich weiß allerdings nicht, ob Woelki, wohl mehr Mann der Praxis und der Pastoral, der Herausforderung dieser Diskussion gewachsen ist.

Warum nicht?
Lill: Weil er diese Themen im Gegensatz zum Papst bisher nicht klar angesprochen hat. Im Übrigen hat Woelki wohl nicht die Gelegenheit zur Vertiefung wissenschaftlicher Theologie gehabt. Das kann ich ihm nicht vorwerfen, denn das liegt an dem System Meisner: Der hat ihn zum Erwerb des Doktortitels zwar nach Rom, aber nicht an die berühmte Gregorianische Universität geschickt, sondern an das von Johannes Paul II. schnell aufgerichtete Institut des Opus Dei, welches im Allgemeinen keine kritische Wissenschaft betreibt, sondern eine autoritäre Führungsschicht heranbilden will.

Ihre Gruppe hatte sich gewünscht, dass das "Volk Gottes an der Wahl des neuen Erzbischofs beteiligt" würde. Ist das in ausreichender Form geschehen?
Lill: Nein, der Vatikan hat ja nicht einmal die Vorschläge des Domkapitels akzeptiert. Dieses römische Verfahren ist historisch gesehen falsch. Die alte Kirchenverfassung hatte hingegen sehr wohl demokratische Elemente. Dazu gehörte, dass die Gemeinden ihren Bischof wählten und nicht nur Befehle aus Rom entgegen nahmen. Da wäre eine riesige strukturelle Veränderung notwendig. Johannes XXIII. wollte sie beim Zweiten Vatikanischen Konzil angehen, ich habe den Eindruck, dass Franziskus in diese Richtung geht.

Zur Person

Rudolf Lill, Jahrgang 1934, ist Historiker mit dem Forschungsschwerpunkt Italien, Vatikan, Rom. Er lehrte an den Unis Köln, Passau und Karlsruhe, war am Deutschen Historischen Institut in Rom tätig und zuletzt Lehrbeauftragter für italienische Geschichte in Bonn. Er schrieb das Werk "Die Macht der Päpste".

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