Überblick seines Werdegangs Horst Seehofer tritt als Parteichef ab

Berlin · Noch CSU-Chef und Bundesinnenminister Horst Seehofer wurde vom Garanten absoluter Mehrheiten zum Dauer-Störenfried – nicht nur für die große Koalition, sondern auch für Bayern.

Die CSU-Klausur ist zu Ende. Wie zufällig schlendert ein hochgewachsener Mann durch den Festsaal von Wildbad Kreuth, kommt mit zwei Journalisten ins Gespräch. Schnell bildet sich eine Traube von Menschen um ihn. Auch CSU-Abgeordnete strömen hinzu. Es ist die Hoch-Zeit des Horst Seehofer. Was er sagt, wird Gesetz. Keiner wagt, ihm zu widersprechen, auch wenn er selbst gerade wieder die Meinung wechselt.

Seine Gegner nennen die ständigen Wendemanöver „seehofern“. Ihn ficht das nicht an. Er steht für absolute Mehrheiten, für sicheres Gespür für das, was Wähler wollen. Und so wiederholt sich das Schauspiel von Kreuth Jahr für Jahr, auch an anderen Orten. Vielleicht weil er sich erinnert, dass es auch mal anders war, und weil er ahnt, dass es mal anders sein wird?

2007 war es anders. Da zog sich Edmund Stoiber unter massivem Druck seiner Partei zurück. Seehofer wollte übernehmen, wurde aber von Erwin Huber und Günther Beckstein beiseite gedrückt. Ein Jahr später kam seine zweite Chance. Der neue CSU-Chef und der neue Ministerpräsident hatten die absolute Mehrheit für die CSU verloren, schafften nur noch 43 Prozent. Da war der Ingolstädter Arbeitersohn mit viel Regierungserfahrung als Gesundheitsminister unter Helmut Kohl und Agrarminister unter Angela Merkel nicht mehr zu verhindern. Seehofer konsolidierte die CSU, holte die absolute Mehrheit zurück und schwelgte über den Job, von dem jeder CSU-Politiker träumt, schwärmte von Bayern als der „Vorstufe zum Paradies“.

Bezug zur Realität verloren

2017 fängt er an, die „Vorstufe“ wegzulassen. Nun beschwört er das „Paradies“, zu dem Bayern unter ihm geworden sei. Ist es das erste Anzeichen dafür, den Kontakt zu den harten Realitäten verloren zu haben? Schon Jahre zuvor hat er damit begonnen, Vorkehrungen für seine Nachfolge zu treffen. Um den ehrgeizigen Markus Söder zu verhindern, holt er Ilse Aigner aus dem Bundeskabinett nach München. Aber die hat andere Qualitäten, als Söder nach allen Regeln der Ellenbogenkunst kalt zu stellen. So spricht Seehofer selbst von Söders angeblichen „Schmutzeleien“ und davon, dass er charakterliche Defizite habe.

Aber Söder sammelt hinter Seehofers Rücken immer mehr Unterstützer und engt Seehofers Spielraum ein. Der bleibt zwar der Löwe in Bayern, aber einer mit schwindendem Durchsetzungsvermögen. Er startet eine Serie von Rücktrittsangeboten und Rücktritten von Rücktrittsankündigungen. Mal will er Söder den Parteivorsitz überlassen, mal ihn nach Berlin schicken und selbst Regierungschef bleiben, mal versucht er andere gegen den Rivalen in Stellung zu bringen. Am Ende muss er einsehen, dass es auf Söder als Regierungschef und Spitzenkandidat für die alles entscheidende Landtagswahl zuläuft.

Es gehört wohl zu den bitteren Erkenntnissen für einen Mann nach Jahren der Traubenbildung um ihn herum, beim letzten CSU-Parteitag im September nur noch mit höflichem Beifall bedacht zu werden, während sein Widersacher Söder die Jubelstürme erntet. Wie es in ihm aussieht, macht eine kleine Geste deutlich. In den Schlussapplaus hinein springt der 69-Jährige auf und steigt auf einen wackligen Stuhl. Mehr als einmal haben seine Parteifreunde Seehofers angegriffene Gesundheit erlebt, seit ihn eine Herzmuskelentzündung fast das Leben gekostet hatte. Als könne er mit der Stuhlbesteigung die bösen Geister um seine berufliche Zukunft verscheuchen, winkt er von erhöhter Warte.

Das vorhergesagte Debakel

Dabei sagen die Umfragen einen Monat vor der Bayernwahl bereits ein Debakel voraus, und es geht eigentlich nur darum, ob der jüngere Spitzenkandidat oder der ältere Parteichef deswegen zu gehen haben wird. Nach der Inflation von Rücktrittsangeboten richtet sich die CSU darauf ein, dass es Seehofer sein wird. Der hat Erfahrung damit. Schon 2004 hat er es gemacht, hat der damaligen Unions-Fraktionschefin Angela Merkel den Stellvertreterposten vor die Füße geworfen, weil er ihre Gesundheitsprämie nicht mittragen wollte. 2015 entwickelt sich die vorübergehende Meinungsdifferenz zwischen beiden Parteichefs zu einem dauerhaften Zerwürfnis.

Als Merkel ihn Anfang September angesichts der nahenden Flüchtlinge aus Ungarn zu erreichen versucht, geht er auf Tauchstation. Er hat sich über sie geärgert, weil sie den hundertsten Geburtstag von CSU-Idol Franz Josef Strauß nicht mit ihrer Anwesenheit zieren wollte. Nun muss sie damit leben, dass er ihr schon bald „Staatsversagen“ und „Kontrollverlust“ bescheinigt und eine Verfassungsklage gegen die eigene Bundesregierung vorbereitet.

Er reicht sie nicht ein, aber er bleibt bei seiner Wortwahl, auch wenn er erreicht, dass Merkel die Willkommenskultur Schritt für Schritt in eine gesetzliche Begrenzungs- und Abwehrpraxis verwandelt. Wieder und wieder nimmt er Anlauf, um ihr das Wort „Obergrenze“ abzutrotzen – ohne zu merken, wie er mit seiner Radikalkritik die Wahlchancen der Union verkleinert, die der Rechten vermehrt.

Kopfschütteln und Verbitterung löst er aus, als er im Frühsommer wegen einer Handvoll Zurückweisungen an den Grenzen Koalition und Union an den Rand der Spaltung bringt. Mit der Einverleibung des Bausektors ins Innenministerium versucht er, an die Anfänge als Sozialpolitiker anzuknüpfen. Doch im riesigen Ressort eilt er stattdessen von Brandherd zu Brandherd, hat auch die Maaßen-Personalie nicht wirklich im Griff, bis der Verfassungsschutzchef mit Fußtritt gehen muss.

Was wird bleiben? Die Erkenntnis, dass auch im 21. Jahrhundert noch absolute Mehrheiten möglich sind? Oder das Drama von dem verbohrten Störenfried, der eine Partei, eine Fraktion, eine Regierung runterziehen kann? Das Aufatmen über seinen Abgang als Parteichef wird geschmälert durch seinen Willen, vorerst Innenminister bleiben zu wollen. „Ich bin Bundesinnenminister und werde das Amt weiter ausüben“, sagte Seehofer beim Besuch eines Fahndungs- und Kompetenzzentrums der Polizei in Bautzen. Dabei weiß er selbst, dass er am Ende seines Weges angekommen ist.

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