Kommentar zu den Koalitionsverhandlungen Heiße Luft

Meinung | Bonn · Für ein Gelingen Jamaikas kann nur helfen, wenn alle genau hinsehen, was die andere Seite ganz genau will. Hinter harten Worten verbirgt sich oft nur heiße Luft, kommentiert GA-Korrespondentin Birgit Marschall.

 Kommt es in Deutschland zur Jamaika-Koalition.

Kommt es in Deutschland zur Jamaika-Koalition.

Foto: dpa

Mit dem Wechsel von Wolfgang Schäuble ins Amt des Bundestagspräsidenten hat die Kanzlerin nicht nur ein Hindernis für Jamaika aus dem Weg geräumt, sondern auch ein Schlachtfeld eröffnet. Wer den Posten erobert, hat die größte Macht neben Merkel und für die kommenden Jahre das Schlüsselressort für die Zukunft Europas in den Händen. Kein CDU-Finanzminister, sagt FDP-Chef Christian Lindner, dürfe Schäuble nachfolgen, weil dann Kanzleramt und Finanzminister weiter mit ihren falschen Konzepten „durchregieren“ könnten. Was genau Lindner an Schäubles Kurs kritisiert, bleibt nebulös. Dass er den Posten schon früh für die Liberalen reklamiert hat, provoziert die Grünen. Der rhetorisch scharfe Euro-Kurs des FDP-Chefs bringt sie auf die Palme.

Und was will Merkel? Eine scharfe Konfrontation mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron à la Lindner jedenfalls nicht. Sie will lieber präzise nachfragen bei Macron: Warum brauchen wir ein zusätzliches Eurozonen-Budget, wenn wir schon so viele andere Töpfe haben? Woher soll das Geld kommen und wer soll es verwalten? Am Ende strebt Merkel einen Kompromiss an, mit dem alle Seiten leben können.

Ob dies auch künftig gelingen kann, hängt nicht so sehr davon ab, ob die Union wieder den Finanzminister stellt. Wichtiger ist, ob die Regierungschefin in der Lage sein wird, auch in einer Jamaika-Koalition die Zügel in der Hand zu behalten. Dazu braucht es gerade bei der Europapolitik geschickte und präzise Formulierungen im Koalitionsvertrag.

Europäische Finanzpolitik als schwieriges Feld

Das Problem dabei ist, dass die europäische Finanzpolitik ein kompliziertes Feld ist. Wer hier die Verhandlungen führt, müsste profunde Kenntnis der europäischen Rechtslage, ökonomische Expertise und politstrategische Fähigkeiten besitzen. Die ersten Äußerungen zu dem Thema lassen leider annehmen, dass unter den 56 Jamaika-Sondierern nicht einer außer Merkel ist, der über ausreichendes Wissen verfügt. Jamaika könnte an Europa scheitern.

Schäuble, der in Europa alle kennt und sich – obwohl Jurist - über die Jahre einen guten ökonomischen Kompass angeeignet hat, beherrscht die Klaviatur der Eurogruppen-Treffen meisterlich. Sein Abgang ist ein Verlust, das ahnen auch die, die ihn jahrelang kritisiert haben. Schäuble hat – entgegen einer verbreiteten Auffassung – niemals Austeritätspolitik betrieben, sondern nur verbale Härte gezeigt, wenn es sein musste. Spätestens seit 2013 duldete Deutschland erneut hohe Defizite in Frankreich und anderen Ländern und damit die weitere Aushöhlung des Maastricht-Vertrags. Das ist das Gegenteil von Austerität.

Die FDP wird verstehen müssen, dass Europa nicht funktioniert, wenn Deutschland seine Interessen maximal durchsetzt. Für ein Gelingen Jamaikas kann nur helfen, wenn alle genau hinsehen, was die andere Seite ganz genau will. Hinter harten Worten verbirgt sich oft nur heiße Luft.

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