Hannelore Kraft - Wie bei Muttern

BONN · Hannelore Kraft - eine Sozialdemokratin im Wohlfühl-Wahlkampf.

Als Hannelore Kraft aus dem Bus steigt, brandet Beifall auf. Einige Dutzend Genossen sind an diesem Nachmittag an den Bahnhof von Dülmen gekommen. Hier, wo das Münsterland besonders schwarz ist, kommt die Ministerpräsidentin vor allem, um Anhänger zu motivieren. Vor zwei Jahren hatte die SPD rund 30 Prozent geholt, die CDU aber 50. Kraft hat nicht viel Zeit, geht direkt auf die Bürger zu.

Einer der Ersten, denen sie die Hand schüttelt, ist Christopher Averkamp (16). "Das wird unser neuer Genosse", sagt Waltraud Bednarz, die örtliche Fraktionschefin, gleich werde er den Aufnahmeantrag unterschreiben. "Klasse", sagt die SPD-Landeschefin, lächelt und fügt hinzu: "Wir sind eine Partei mit Tradition, da sagt man Du." Der neue Genosse ist etwas verlegen. Hannelore zu sagen, das würde ihm nicht einfallen. Doch Hannelore ist da schon wieder weiter, gibt den jungen und alten Genossen vor dem Bahnhof noch mit auf den Weg, dass sie bis zum 13. Mai ordentlich kämpfen sollen.

"Ich will endlich mal wieder gewinnen", sagt sie wenig später im Wahlkampf-Bus, "nach zwölf Jahren." Damals war das Kind des Ruhrgebiets, Unternehmensberaterin von Beruf, in den Landtag gekommen. Ein Jahr später holte Wolfgang Clement sie als Europaministerin ins Kabinett. Dann die SPD-Niederlage bei der Landtagswahl 2005, die für sie zum Aufstieg wurde. Erst Fraktionschefin, später auch Landesvorsitzende. 2010 landete ihre SPD knapp hinter der CDU, mit den Grünen bildete sie die Minderheitsregierung.

"Wir haben einiges erreicht", sagt sie, nennt die Abschaffung der Studiengebühren, den Schulkonsens, die Beitragsfreiheit für das letzte Kindergartenjahr. Aber insgesamt sei es sehr anstrengend gewesen. Deshalb will sie jetzt stabile Verhältnisse, und das heißt für sie: "Weiter so mit Rot-Grün".

Und nach den Umfragen sieht es ja auch ganz gut aus. Wechselstimmung im Land? "Gibt es nicht", sagen die Demoskopen. Kraft hält sich da zurück: "Ich habe momentan den Tunnelblick." Will heißen: Ihr schlägt so viel positive Stimmung entgegen, dass sie sich zwar sehr wohl fühlt, aber nicht weiß, ob das repräsentativ für das Land ist.

"Man glaubt ihr"

Zum Beispiel auf dem Marktplatz in Ahlen. Ein kleines Frühlingsfest hat die SPD hier vorbereitet. Was stark untertrieben ist, denn mehrere hundert Menschen wollen die Ministerpräsidentin sehen. Die spricht über den Fachkräftemangel, die Sanierung des Haushalts und bekommt den meisten Applaus, als sie das Tariftreuegesetz erklärt und sagt: "Wer einen öffentlichen Auftrag haben will, der muss sich an die Tarifverträge halten."

Anja Müller zeigt sich sehr angetan: "Wenn sie so spricht, dann glaubt man ihr das", sagt die 46-Jährige aus Ahlen. Wegen Hannelore Kraft wähle sie diesmal die SPD. Sie erinnert sich an die Trauerfeier zur Loveparade-Katastrophe. "Ihre Rede und die Gespräche mit den Hinterbliebenen, das war sehr berührend zu sehen, da war nichts gespielt."

Für viele überraschend schnell hat Kraft in die Rolle der Landesmutter gefunden. Wird sie darauf angesprochen, reagiert sie allerdings nicht selten unwirsch. Dafür ist sie viel zu sehr Machtpolitikerin. Was jüngst die Bonner Kandidatin Renate Hendricks erfuhr. Mit ihrem grünen Gegenkandidaten hatte sie vereinbart: Sie ruft die SPD-Wähler auf, mit der Zweitstimme Grün zu wählen, und er bittet im Gegenzug die Sympathisanten seiner Partei, Hendricks die Erststimme zu geben. Öffentlich würde Kraft darüber nie sprechen, doch intern flogen die Fetzen. Seitdem weist die SPD-Landeschefin noch öfter als sonst darauf hin, dass sie beide Stimmen haben will.

Eher sanft geht sie mit dem CDU-Spitzenkandidaten Norbert Röttgen um. Im Fernseh-Duell lieferte sie sich mit ihm noch einen munteren Schlagabtausch. In ihren Reden kommt er aber kaum vor. Sie macht ihr Ding. Und dazu gehört in einem der ersten Sätze das Leitmotiv dieses Wahlkampfs: "Wir wollen kein Kind zurücklassen." Dahinter steht ihr Ziel, mehr auf Vorbeugung zu setzen, also jetzt Geld auszugeben, um jungen Eltern bei der Erziehung zu helfen, um nicht später hohe Reparaturkosten zu zahlen.

Beim Besuch des Kinderschutzbundes in Sankt Augustin spricht sie von 23 Milliarden Euro pro Jahr, die Bund, Länder und Kommunen in diesem Bereich ausgeben müssten. Mehr für junge Mütter will sie tun, für junge Menschen in Warteschleifen, für jene, die keinen Schul- oder Ausbildungsabschluss haben. Dass das viel Geld kostet, hat die Opposition ihr stets vorgeworfen. Deshalb baut sie neuerdings vor: "Finanziell ist nicht immer alles möglich, was wir da wollen."

Stimmung wie bei Johannes Rau

In diesen Tagen ist Kraft oft in sozialen Einrichtungen. Natürlich auch der schönen Bilder wegen. "Wie alt bist Du denn?", fragt sie Maurice, der gerade in der Bauecke spielt. Drei Finger zeigt der Junge. "Und womit spielst Du gern?" Mit Ministeck, sagt Maurice. Kraft setzt sich dazu und schaut sich das bunte Kunstwerk an, das der Junge an diesem Morgen gesteckt hat. "Ich genieße das immer, mein Sohn ist ja schon zwei Meter groß", sagt sie.

17 Jahre ist das her, als er in dem Alter war. Inzwischen arbeitet Jan Kraft im Team seiner Mutter mit, hält die Handtasche, reicht Papiere weiter, verteilt Autogrammkarten. "Ich stehe voll dahinter, was sie macht", sagt er auf dem Marktplatz in Ahlen, als er selbst ein Interview gibt. Und sie meint: "Jan war gerade sieben Monate im Ausland. Im Moment sind wir ein Herz und eine Seele, das ändert sich aber bestimmt schnell wieder." Wahlkampf als Familienausflug. Nur Ehemann Udo ist nicht dabei. Der Elektroinstallationsmeister wechselt währenddessen zu Hause in Mülheim Plakate aus. Parteiarbeit an der Basis.

Auch Waltraud Bednarz, die SPD-Fraktionschefin in Dülmen, ist in diesen Tagen viel unterwegs. Und sie hat - gerade hier im schwarzen Münsterland - eines festgestellt: viel Zuversicht und Vorfreude. "Das war bei Clement und Steinbrück nie so", sagt sie. Und setzt mit leuchtenden Augen hinzu: "Ich kenne ja die Zeiten von Johannes Rau noch. Die Stimmung ist jetzt wieder so."

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort