Tsipras in Berlin Gutwetter gegen Schatten der Vergangenheit

BERLIN · Roter Teppich. An Tag 57 seit der Amtseinführung. Alexis Tsipras ist angekommen - im Bundeskanzleramt, jenem Ort, der vielen Griechen Hort der sozialen Kälte und Härte gegenüber der eigenen Not ist.

 Alexis Tsipras wird von Angela Merkel vor dem Kanzleramt mit militärischen Ehren begrüßt.

Alexis Tsipras wird von Angela Merkel vor dem Kanzleramt mit militärischen Ehren begrüßt.

Foto: AP

Draußen vor dem Kanzleramt skandieren rund 200 Demonstranten, direkt vor ihnen eine Kette von Polizisten: "Hoch die internationale Solidarität!" Tsipras soll sich nicht alleine fühlen, wenn er gleich mit militärischen Ehren empfangen wird und an der Seite von Bundeskanzlerin Angela Merkel die Ehrenformation abschreitet. Und tatsächlich, Tsipras geht auf die Demonstranten zu, bevor er sich zur griechischen Nationalhymne aufstellt. Dann geht es mit Merkel an die Arbeit.

Dabei ist es kaum mehr als 72 Stunden her, dass sich Tsipras und Merkel beim Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs eine Nacht um die Ohren geschlagen haben. Tsipras weiß danach, dass er Hausaufgaben hat. Der griechische Ministerpräsident soll endlich eine Liste konkreter Reformen vorlegen und umsetzen.

Viel war vor diesem Antrittsbesuch von Tsipras in Berlin darüber spekuliert worden, ob der neue griechische Ministerpräsident beim Abend mit "Madame No", wie Merkel in Brüssel auch genannt wird, die besagte Liste erstens schon fertig haben und sie zweitens auch präsentieren würde. Doch die Bundeskanzlerin will erst gar nicht den Eindruck vermitteln, als würde sie über die europäische Geschäftsordnung hinwegregieren.

Die Reformliste aus Athen gehöre nicht zum bilateralen deutsch-griechischen Geschäft, sondern müsse "bei den Institutionen abgegeben werden" - und nicht bei Deutschland, so Merkel. Die Institutionen: Europäische Kommission, Europäische Zentralbank und Internationaler Währungsfonds - vielen Normal- und Regierungsgriechen verhasst, weil sie aus Sicht Athens allzu technokratisch-kalt mit der Schuldenmisere des griechischen Staates umspringen würden.

Die neue griechische Regierung gab sich zuletzt nicht zimperlich, hatte aus ihrer Sicht noch offene Reparationsforderungen aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges ins Gespräch gebracht und gar damit gedroht, Gebäude deutscher Institutionen in Griechenland zu pfänden. Ein Gegenangriff, ein Ablenkungsmanöver? Tsipras beteuert später in der Pressekonferenz mit Merkel vor mehreren Hundert Journalisten, angesprochen auf die angeblichen Pfändungspläne deutschen Eigentums in Griechenland: "Das können Sie vergessen. Das gilt einfach nicht!"

Schluss mit dem Getöse, auch wenn man unterschiedlicher Meinung sei. Und rein in die Sacharbeit. Nach Wochen der Aufregung gibt sich Tsipras in Berlin betont moderat. Fast sieht es so aus, als würde Athen die weiße Flagge hissen und auf Forderungen von Euro-Gruppe und "Institutionen" eingehen. Die griechische Regierung braucht Geld: schnell. Denn der griechische Patient liegt noch immer auf Intensiv und muss notbeatmet werden. Dr. Merkel beobachtet. Und Euro-Europa will Reformen: schnell. Aber dass Tsipras nach Berlin gereist wäre, um Merkel respektive die Bundesregierung regelrecht um Geld anzupumpen, diese Vorstellung ist dem griechischen Ministerpräsidenten dann doch zu unwürdig.

"Sie werden doch nicht erwarten, dass ich nach Deutschland komme, um die Bundeskanzlerin zu bitten, die griechischen Renten und Gehälter zu bezahlen", antwortet Tsipras auf die Frage, ob Griechenland tatsächlich am 8. April die Zahlungsunfähigkeit drohe, wie Medien berichtet hatten. Merkel wiederum will und kann nicht den Kreditgeber spielen. Sie vertrete lediglich ein Land von 19, die zur Euro-Zone gehörten: "Ich kann nichts in Aussicht stellen, nichts zusagen, schon gar nicht Liquidität." Ob weiter Geld nach Athen fließt, sei Sache der "Institutionen". So seien nun einmal die Spielregeln.

Merkel kennt ebenso wie Tsipras Karikaturen, die sie, die Regierungschefin der größten und politisch mächtigsten Volkswirtschaft Europas, mit Hitler-Schnäuzer zeigen oder wie auf dem jüngsten "Spiegel"-Titel, einmontiert neben deutsche Soldaten in Uniform mit Hakenkreuz vor der Akropolis. Tsipras findet diese Art von Geschichtsvergleich "sehr ungerecht gegenüber der Bundeskanzlerin". Er lobt, die deutsche Regierungschefin könne zuhören und möchte "konstruktiv vorankommen". Tsipras: "Mit der Geschichte darf man nicht scherzen." Merkel betont, in Europa sei jedes Land "gleich wichtig", egal wie groß oder klein. Ob Luxemburg, Malta oder Deutschland - jedes Land zähle in diesem Europa.

Tsipras spricht dann noch von Schatten der Vergangenheit, die man "aufhellen" müsse. Zwangskredit, Wiedergutmachung, Entschädigung. Seiner Regierung gehe es dabei weniger um ein materielles denn um ein ethisch-moralisches Problem. Und bitte, es gehe in diesen Tagen und Wochen auch darum, dass beide Seiten, Griechen wie Deutsche, "schreckliche Stereotypen überwinden" müssten. "Weder sind die Griechen Faulenzer, noch sind die Deutschen schuld an den Übeln und Missständen in Griechenland." Die neue Regierung wolle "große Strukturreformen" angehen.

Dazu gehörten Steuergerechtigkeit wie auch der Kampf gegen die grassierende Korruption im Lande. Das bisherige Sparprogramm, seinem Land vom Rest der Euro-Zone auferlegt, "war für uns keine Erfolgsgeschichte". Es habe "schreckliche Auswirkungen" auf die griechische Volkswirtschaft gehabt. Aber die Verträge gelten: "Wir achten sie. Wir respektieren sie", versichert Tsipras. Er hofft auf besseres Wetter. Er habe es gleich nach Berlin mitgebracht.

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