Abstimmung im eigenen Wohnzimmer Grüne starten ersten digitalen Parteitag zur Corona-Krise

Berlin · Die Grünen haben an diesem Samstag als erste Partei ein kleines Stück Parteiengeschichte geschrieben. Erstmals hat sich eine Partei an einen digitalen Parteitag gewagt.

 Mit Mund-Nasenschutz kommen Annalena Baerbock (r), Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, und Robert Habeck, Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen, in der Grünen-Parteizentrale zum Start des Online-Parteitags zur Corona-Krise.

Mit Mund-Nasenschutz kommen Annalena Baerbock (r), Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, und Robert Habeck, Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen, in der Grünen-Parteizentrale zum Start des Online-Parteitags zur Corona-Krise.

Foto: dpa/Kay Nietfeld

Kein Saal. Keine Hallensuche. Keine Hallenmiete. Auch kein Sicherheitsdienst. Einfach nur total digital. Alles ist anders in diesen Corona-Zeiten. Auch Parteitage, wenn sie überhaupt abgehalten werden. Denn vorerst bis zum 31. August gilt in Deutschland bundesweit ein Verbot von Großveranstaltungen. Doch die Grünen haben an diesem Samstag als erste Partei auch ein kleines (neues) Stück Parteiengeschichte geschrieben. Erstmals hat sich eine Partei an einen digitalen Parteitag gewagt. „Ich freue mich, wie viel Anerkennung wir bekommen, dass wir den Mut haben, das zu machen“, sagt der Politische Bundesgeschäftsführer, Michael Kellner, zum Länderrat, dem Kleinen Parteitag der Grünen an diesem Samstag.

Doch auch digitale Parteitage kosten Geld. „Man kann jetzt nicht behaupten, dass das sehr viel billiger ist. Was aber entfällt, sind die Reisekosten.“ Ein Länderrat analog, bei dem sich normalerweise rund 150 Delegierte physisch in einer Halle treffen, kostet laut Kellner zwischen 30.000 und 50.000 Euro, je nach Art der Halle und der Stadt, in der die Grünen tagen. Aber auch für einen Online-Parteitag, per Streaming auf der Grünen-Website oder über Youtube nach draußen übertragen, müssen sich die Grünen aufstellen. Die Kosten für die digitale Infrastruktur lägen gleichfalls zwischen 30.000 und 50.000 Euro, betont Kellner.

Der Politische Bundesgeschäftsführer schwört die rund 90 Delegierten und die Zuhörer draußen im Land auf diese Premiere ein. „Es fühlt sich an, wie Parteitag.“ Änderungsanträge, Debatten im Vorfeld über die Medien, und doch ist vieles anders. Redner müssten beispielsweise nicht gegen die Geräuschkulisse in einem voll besetzten Saal ankämpfen. Aber Kellner bekennt auch: „Einiges vermissen wir: Die Möglichkeit, Applaus zu hören. Und die Möglichkeit der geheimen Personenwahl.“ Applaus, Stimmung, Atmosphäre – all dies zähle nun mal zu einem Parteitag. Normalerweise seien Grünen-Parteitage auch wie Familientreffen. „Das fehlt heute, doch wir machen daraus das Beste.“

Und doch habe Corona die Digitalisierung des Landes wie auch der Parteien ein großes Stück vorangebracht. Aber Kellner macht auch deutlich: „Ich möchte nicht in einer Welt leben, in der man sich nur in Videokonferenzen trifft.“ Trotzdem plädiert er dafür, das deutsche Parteienrecht auf die Höhe der (digitalen) Zeit zu bringen. Er plädiert für digitale Beteiligung und dafür, die dazu notwendige sichere Infrastruktur zu schaffen, etwa auch für geheime Personenwahl. Wie immer bei Grünen-Parteitagen werden Redner auch gelost, aus digitalen Losboxen, getrennt nach Geschlechtern. „Ein Mann hat sich in die Frauenbox geschmissen. Das soll natürlich nicht sein“, bemerkt die Parteitagsführung.

Aber dann ist der Politische Bundesgeschäftsführer gleich im Wahlkampfmodus. Neuer Rekord: Die Grünen feiern nun mehr als 100.000 Mitglieder. „Was für ein Rückenwind. Ich sage Euch, ich habe mich noch auf keine Wahl so gefreut wie auf die nächste Bundestagswahl“, so Kellner.

Im Leitantrag fordert der Grünen-Bundesvorstand etwa ein Instrument, wie die vielen Hundert Milliarden Euro, die die Bewältigung der Folge der Corona-Pandemie kosteten, finanziert werden könnten. „Entsprechend brauchen wir zur Tilgung der Schulden einen solidarischen Ausgleich nach dem Prinzip: Wer starke Schultern hat, kann mehr tragen.“ Zudem plädiert der Bundesvorstand dafür, in Europa über einen „Recovery Fund“, der wiederum durch gemeinsame Anleihen finanziert werde, die Krisenlasten gemeinsam zu schultern. Für deutsche Schlüsselindustrien wie die Autobranche fordern die Grünen, mögliche neue Kaufanreize sollen „auf klimaneutrale Mobilität fokussiert werden“.

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