Streit um das Pflanzenschutzmittel Glyphosat vergiftet das Koalitionsklima

BERLIN · Trotz einer neuen WHO-Studie bleiben die Fronten in der Bundesregierung verhärtet. Sollte dies so bleiben, müsste sich Deutschland bei der Entscheidung in Brüssel über die Verlängerung der Zulassung enthalten.

 Demonstration gegen den Glyphosat-Einsatz vor dem Reichstag: Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter mit Fraktionskollegen. FOTO: DPA

Demonstration gegen den Glyphosat-Einsatz vor dem Reichstag: Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter mit Fraktionskollegen. FOTO: DPA

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Von einem „Machtwort“, das die Kanzlerin zu sprechen genötigt sein könnte, will der Regierungssprecher Steffen Seibert selbstredend nichts wissen. Tatsächlich gebe es bei Glyphosat derzeit keine einheitliche Position in der Bundesregierung, deshalb sollten Gespräche geführt werden. Aber wenn die Regierungschefin und ihr Sprecher auf ein Pfingstwunder gehofft haben sollten, dann ist diese Hoffnung inzwischen ziemlich perdü.

Der in der vergangenen Woche in der Bundesregierung ausgebrochene Streit über den europaweiten Glyphosat-Einsatz besteht fort. Der in der Sache federführende Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) ist weiter dafür, die Zulassung des umstrittenen Unkrautvernichters auf EU-Ebene noch einmal zu verlängern und ärgert sich über den hakenschlagenden Koalitionspartner. Und alle SPD-Minister der großen Koalition halten an ihrer Linie fest, die sie am vergangenen Mittwoch im Vorfeld der Kabinettssitzung vereinbart haben: „Solange es eine ungeklärte Gefahrenanalyse bei Glyphosat gibt, und solange sich nicht zweifelsfrei klären lässt, ob mit dem Einsatz dieses Mittels Gesundheitsrisiken verknüpft sind, sprechen die SPD-Minister sich gegen den weiteren Einsatz dieses Mittels aus“, bekräftigte der Sprecher von Umweltministerin Barbara Hendricks gestern.

Daran ändert auch die aktuelle Stellungnahme der Weltgesundheitsorganisation nichts, die auf der SPD-Seite als „in der Sache nicht neu“ eingestuft wird. Die WHO ordnet es als „unwahrscheinlich“ ein, dass das Pflanzengift ein Krebsrisiko für Menschen darstelle. Diese Stellungnahme will das Umweltministerium nun erst einmal analysieren; das Wirtschaftsministerium wiederum kündigt an, seine grundsätzliche Skepsis aufrechtzuerhalten, solange es widerstreitende wissenschaftliche Positionen gibt.

Das klingt nicht, als ließen sich die Differenzen beseitigen, auch wenn die SPD-Minister offenbar erst nach der jüngsten Fraktionssitzung zu ihrer neuen Risikobewertung beim Thema Glyphosat kamen. Dort warnten viele Abgeordneten dem Vernehmen nach davor, dass ein Koalitionskompromiss bei der eigenen Klientel schlecht ankommen und die Glaubwürdigkeit der SPD unterminieren könnte. Da die SPD in der Regierung nicht die Verantwortung für das Gesundheitsressort habe, könne sie die Frage nach den Gesundheitsrisiken nicht klären.

Agrarminister Schmidt wiederum fühlt sich vom Koalitionspartner verschaukelt, zumal er die umweltpolitischen Einwände von Ministerin Barbara Hendricks in seinem Verordnungsentwurf berücksichtigt habe. Schmidt ist besorgt, dass aus dem Streit ein gesellschaftlicher Großkonflikt wird, bei dem die konventionelle Landwirtschaft am Pranger steht. Er fürchtet um Arbeitsplätze in der Landwirtschaft.

Wann der Schlichtungsversuch seitens des Kanzleramts stattfinden soll, ließen die beteiligten Regierungsstellen in Berlin offen. Dabei bleibt nicht mehr viel Zeit, um den Streit zu entschärfen. In Brüssel steht die Entscheidung über die Zulassungsverlängerung Mitte dieser Woche auf der Agenda. Dann muss die Bundesregierung entweder zustimmen oder sich enthalten. Das wird sie laut ihrer Geschäftsordnung tun, wenn es keine einheitliche Position gibt.

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