Jahrestagung des Beamtenbundes "Gewaltprävention ist Bürgermeisterpflicht"

KÖLN · Anfang Dezember erstach in Rothenburg ob der Tauber ein 28-Jähriger einen 61-jährigen Gutachter des Jobcenters. Mit einer abgebrochenen Glasflasche in der Hand stürmte im vergangenen Herbst ein Besucher ins Bonner Sozialamt und bedrohte eine Mitarbeiterin. In letzter Sekunde konnte die Angestellte flüchten und sich in Sicherheit bringen.

 Absperrband der Polizei riegelt den Tatort ab: In Rothenburg ob der Tauber wurde am 3. Dezember im Jobcenter ein 61-jähriger Mitarbeiter der Behörde erstochen.

Absperrband der Polizei riegelt den Tatort ab: In Rothenburg ob der Tauber wurde am 3. Dezember im Jobcenter ein 61-jähriger Mitarbeiter der Behörde erstochen.

Foto: dpa

Auch Gerichtsvollzieher, Feuerwehrleute, Lehrer und Polizisten werden häufiger als früher Opfer von gewalttätigen Übergriffen.

Wie der Staat darauf reagieren sollte, dass Beamte mit Angst vor Übergriffen zur Arbeit gehen, darum ging es gestern auf der Jahrestagung des Deutschen Beamtenbundes (dbb) in Köln. "Alles werden wir nicht verhindern können, wir wollen auch keine waffenstarrende öffentliche Verwaltung, aber es gibt eine Menge zu tun", stellte Rainer Wendt, Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft, klar.

Die Polizei habe das Waffenmonopol, nicht Lehrer oder andere Beamte. Auch sollten Streifen in Jobcentern Ausnahme bleiben. Mit besserem Schutz für Beschäftigte könnten Übergriffe aber verhindert werden. Wendt sprach sich dafür aus, den Schutz der Bediensteten als verpflichtende Führungsaufgabe festzuschreiben. Die Umsetzung solle Beurteilungskriterium für Führungskräfte sein. "Aktuell leben wir davon, dass es Dienststellen- und Behördenleiter gibt, die sich aus eigenem Antrieb um den Schutz ihrer Kolleginnen und Kollegen kümmern, sie müssen es aber nicht", so Wendt.

Bernhard Frevel, Professor an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW in Münster, hat eine Studie über "Sicherheit und Gewaltprävention in Kommunalverwaltungen" erstellt. Dafür sprach Frevel mit Mitarbeitern und Vorgesetzten in Verwaltungen - auch in Bonn. "Wir sagen in unserer Studie: Gewaltprävention ist Bürgermeisterpflicht", erklärte Frevel. Die Prävention gehe hinunter bis zum einzelnen Mitarbeiter, der keine persönliche Angriffsfläche bieten solle, beispielsweise durch umherliegende Scheren oder Familienbilder, die ihn "erpressbar" machen könnten. Frevel untersuchte nicht die spektakulären, sondern die alltäglichen Gewalterfahrungen und deren Folgen: Beleidigungen, Bedrohungen, nervenaufreibende Konfliktgespräche.

Neben wirksamen Alarmierungssystemen betonte Frevel die Bedeutung von regelmäßigem Kommunikations- und Deeskalationstraining sowie interkultureller Kompetenz. "Diese Dinge müssen Bestandteil von Aus- und Fortbildung sein, denn wir wissen aus dem Bereich der Polizei, dass geschulte Kommunikatoren brenzlige Lagen sehr gut entschärfen und gewaltfrei lösen können", erläuterte Wendt. Auch für Beschäftigte im Außeneinsatz, etwa bei den sozialen Diensten, Ordnungsämtern und in der Vollstreckungsverwaltung, müsse es umfassenderen Schutz geben. Sie seien zu häufig allein unterwegs, ohne sichernden Funkkontakt oder Meldesystem, so Frevel.

"Gewalt gegen Beschäftigte darf keine Schlagzeile sein, sondern ein ständiger Auftrag an alle Beteiligten, die Sicherheit zu verbessern, sagte Ulrich Silberbach, Bundesvorsitzender und NRW-Landesvorsitzender der Komba-Gewerkschaft. "Die Beschäftigten vor Ort müssen in die Entwicklungsprozesse geeigneter Sicherheitsmaßnahmen einbezogen werden."

Zuvor hatte der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) eine systematische und bundesweite Erfassung von Gewaltdelikten gefordert. Herrmann begrüßte, dass die Innenministerkonferenz dieses anstrebe.

Als Ursache von Gewalt gegen Beschäftigte des öffentlichen Dienstes sieht Gewerkschafter Wendt eine veränderte Wahrnehmung des Staates an. Wenn sich der Staat, wie in Deutschland in den vergangenen Jahren geschehen, durch Privatisierungen und Stelleneinsparungen aus immer mehr Bereichen der Daseinsvorsorge zurückziehe, verabschiedeten sich auch die Menschen aus der Solidarität mit dem Staat und fragten: "Wo ist denn dieser Staat, wenn ich ihn brauche?"

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