Interview mit Entwicklungsminister Gerd Müller: „Ehrenamtliche sind eine unverzichtbare Basis“

Berlin · Der 5. Dezember ist der internationale Tag des Ehrenamts. Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) wirbt für eine massive Ausweitung der Austauschprogramme von Schulen für ehrenamtliche Entwicklungszusammenarbeit. Zudem plädiert er für ein Dienstpflichtjahr.

 Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU).

Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU).

Foto: dpa/Marius Becker

Herr Müller, welche Rolle spielen ehrenamtliche Kräfte für die Entwicklungszusammenarbeit?

Gerd Müller: Die Ehrenamtlichen sind eine unverzichtbare Basis für das Engagement in der Welt. Über verschiedene Programme sind hunderttausende Ehrenamtliche aus Deutschland in der Entwicklungszusammenarbeit tätig.

In welchen Programmen konkret können sich Bürger ehrenamtlich in der Entwicklungszusammenarbeit engagieren?

Müller: Wir haben Angebote für alle Lebensphasen: Für junge Menschen von 18 bis 28 Jahren gibt es das Weltwärts-Programm. Bis heute haben 40.000 Freiwillige in 80 Ländern gearbeitet. Aktuell sind 3000 junge Menschen im Einsatz. Zusätzlich gibt es Schulaustauschprogramme, die ich gerne massiv ausweiten möchte.

Wie?

Müller: Mein Wunsch ist, dass sich jede Schule in Deutschland eine Partnerschule in einem Entwicklungsland aussucht für einen Austausch auf allen Ebenen – also mit Lehrern, Eltern und Schülern. Eine solche Partnerschaft kann man über digitale Kommunikation aufbauen und später kommt es dann zu gegenseitigen Besuchen. Dazu läuft bereits das erfolgreiche Programm: 1000 Schulen für Afrika. Wir arbeiten hier eng mit Kommunen zusammen, die direkt auf die Schulen zugehen. Als Dach möchte ich ein deutsch-afrikanisches Jugendwerk einrichten mit drei Säulen: den Austausch von Schülern, von Studenten und jungen Fachkräften. Das Jugendwerk soll auch die Ausbildung von Fachkräften umfassen, die im Rahmen der Fachkräftezuwanderung hier dringend benötigt werden.

Welche afrikanischen Länder haben Sie dafür im Blick?

Müller: Besonders eng arbeiten wir mit unseren sechs Reform-Partnerländern zusammen, die sich stark bei Demokratie und gute Regierungsführung engagieren. Ich komme gerade aus Äthiopien zurück, wo wir mit Ministerpräsident und Friedensnobelpreisträger Abiy Ahmed eine solche vertiefte Zusammenarbeit unterzeichnet haben. Ghana, Senegal und Elfenbeinküste sowie Tunesien und Marokko sind die weiteren Länder.

Was können eigentlich Berufstätige tun?

Müller: Für Fachkräfte, die ein halbes Jahr lang ehrenamtlich in einem Entwicklungsprojekt arbeiten, gibt es den Weltdienst 30+. Jeder wird gebraucht: Hebammen, Verwaltungsexperten, Ärzte, Bäcker, Kfz-Mechaniker und Landwirte. Auch nach dem aktiven Berufsleben sind erfahrene Fachkräfte gefragt. Dafür haben wir seit den 80er Jahren den Senior Expert Service, über den bereits 30.000 Ehrenamtler in 160 Ländern gearbeitet haben. Es ist viel wert, wenn ein deutscher Bäckermeister im Ruhestand hilft, in Afrika junge Menschen auszubilden. Jedes Jahr gehen rund 3000 Senioren in die Welt. Mein Ziel ist es die Zahl zu verdoppeln. Es gibt so viele Anfragen, dass wir dringend neue „Unruheständler“ suchen.

Was halten Sie eigentlich von dem Dienstpflichtjahr, das gerade in der CDU diskutiert wird?

Müller: Ich unterstütze die Linie von Frau Kramp-Karrenbauer für ein Dienstpflichtjahr. Das habe ich schon vor Jahren vorgeschlagen. Jeder junge Mensch sollte ein halbes oder ein Jahr lang Erfahrungen in Umwelt-, Sozial- oder Entwicklungsprojekten sammeln. Das gibt Sinn und Zukunftsperspektiven. In jedem Fall sollten wir den Bundesfreiwilligendienst über die sozialen, caritativen und ökologischen Bereiche hinaus stärker auf Entwicklungszusammenarbeit ausdehnen.

Sie haben sich seit Amtsantritt das Thema Kampf gegen Kinderarbeit auf die Fahne geschrieben. Konnten Sie schon Fortschritte erzielen?

Müller: Ja, die Zahl der Kinderarbeiter ist gesunken. Aber die Rechte der Kinder, die auf dem Papier der UN-Kinderrechtskonvention stehen, sind längst nicht Wirklichkeit. Nicht in indischen Steinbrüchen, nicht in den Textilfabriken Asiens und auch nicht in den Kobalt-Minen im Kongo. Ganz schwierig ist die Lage auf den Baumwollfeldern, in den Kaffee-, Bananen- und Kakao-Plantagen. Experten rechnen, dass 150 Millionen Kinder unter zum Teil ausbeuterischen und sehr gefährlichen Bedingungen arbeiten müssen. Besonders grauenhaft ist die sexuelle Ausbeutung von Kindern, insbesondere von Mädchen. Wir dürfen hier nicht länger wegsehen.

Wie wäre es mit konkreten Maßnahmen?

Müller: Ja. Konkret heißt, dass wir in Europa, in den Lieferketten für unsere Produkte, endlich ausbeuterische Kinderarbeit ausschließen.

Wissen Sie sicher, dass in Ihrem Handy kein Kobalt verarbeitet ist, das Kinder abbauen mussten?

Müller: Leider nicht. Deswegen brauchen wir eine Zertifizierung für globale Lieferketten von der Kobalt-Mine über die Weiterverarbeitung bis zum Verkauf – beim Handy, bei der Jeans und bei der Packung Kaffee.

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