Kommentar zum Tod des ehemaligen Außenministers Genschers Vermächtnis

Bonn · Für welche politischen Ziele lohnt sich jeder persönliche Einsatz? Für Hans-Dietrich Genscher waren es wesentlich drei, und sie sind so etwas wie das Leitmotiv seiner Arbeit geworden und die Grundlage seiner Erfolge: Genscher ging es immer um die Freiheit, den Frieden und um das Recht, das diese beiden großen Ziele ermöglicht und sichert.

Dass ein Politiker Macht haben muss, um in diesem Sinne zu wirken, gehört zu den banalen Grundeinsichten jeder Politik und prägte seinen persönlichen Politikstil doch stärker als den anderer Politiker. Denn Genscher war nie Mitglied einer nach Zahlen besonders erfolgreichen Partei. Das machte ihn zu einer umstrittenen Figur, solange er noch nicht der ewige Außenminister und der Architekt der deutschen Einheit geworden war. Man kritisierte seine wieselflinke taktische Wendigkeit, einen scheinbaren Opportunismus, seine angebliche Undurchschaubarkeit, die ausgeprägte Fähigkeit, sich nicht festzulegen - und übersah dabei die felsenfesten Konstanten seiner Arbeit und die unermüdbare Beharrlichkeit seiner Politik. Sie übersahen auch die hohe Kunst des Kompromisses, die er wie niemand anderer beherrschte.

Für seinen Politikstil prägte sich der abfällig gemeinte Begriff des "Genscherismus" aus. Das sei das Bemühen, so hat er selbst hintersinnig gesagt, die Verhältnisse zu verändern, um ein Ziel zu erreichen, wenn es sich nicht direkt ansteuern lasse. Er suchte sich immer die Partner, die ihm dabei halfen. Auf diese Weise wurde er zum Minister unter drei Kanzlern: Ein einsamer Rekord. Und er brachte seine langfristig angelegte Politik, die deutsche Teilung und den Kalten Krieg zu beenden, ans Ziel. Geholfen hat ihm dabei sein untrügliches Gespür für das richtige Maß, das den anderen fordert, aber nicht überfordert. Maß und Zurückhaltung auch für sein Land, denn die Bundesrepublik musste sich das Vertrauen der Nachbarn in Europa und der Welt erst erarbeiten. Das es gelang, war wesentlich sein Werk.

Stationen in Genschers politischer Karriere Hans-Dietrich Genscher hat auch kein noch so hohes Hindernis akzeptiert. Wenn man den Frieden sichern will, muss man auch mit Feinden verhandeln. Wer den Wandel will, der muss mühsam mit Gegnern gemeinsame Nenner suchen und finden. Nur wer bereit ist, auch den letzten Einsatz zu bringen, der hat auch Aussicht auf Erfolg. Was das bedeutete, umreißt am besten sein Eintreten für die israelischen Geiseln während der Olympischen Spiele in München. Genscher bot sich selbst zum Austausch an, um deren Leben zu retten - am Ende vergeblich.

Sein Vermächtnis für die deutsche Politik geht über die sichtbaren Leistungen hinaus. Das markiert seine eigentliche Größe. Seine Maßstäbe bleiben gute Grundlagen für die deutsche Politik auch in den kommenden Jahren. Deutschland wird auch in Zukunft auf das Wohlwollen der Partner in Europa und darüber hinaus angewiesen sein. Als großes und machtvolles Land muss es seine Kräfte maßvoll einsetzen und darf das Vertrauen seiner Nachbarn in aller Welt nicht beschädigen.Es lohnt sich, daran zu erinnern, denn ein Blick auf die Gegenwart weckt Zweifel, ob Hans-Dietrich Genscher noch verstanden wird.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Lauterbachs Gesetz führt zu Chaos
Kommentar zu den Folgen der Cannabis-Legalisierung Lauterbachs Gesetz führt zu Chaos
Aus dem Ressort
Eingelullt
Kommentar zum Berlin/Bonn-Gesetz Eingelullt