Bonner Migrant berichtet Kein Geld mehr für die Familie in Somalia wegen Corona

Bonn/Eilenburg/Maputo · Migranten schicken jeden Monat lebenswichtiges Geld aus Deutschland an ihre Familien in der Heimat. Doch die Covid-19-Pandemie hat diese Lebensader gekappt. Auch ein 24-jähriger Bonner hat nun Schwierigkeiten, seine Familie in Somalia zu versorgen.

 Eliete Ringuissai (hinten, M) steht mit Familienmitgliedern vor dem Haus seiner Stiefschwester. Der Mosambikaner lebt in Deutschland und schickt auch immer mal wieder Geld nach Hause, um seine Familie zu unterstützen.

Eliete Ringuissai (hinten, M) steht mit Familienmitgliedern vor dem Haus seiner Stiefschwester. Der Mosambikaner lebt in Deutschland und schickt auch immer mal wieder Geld nach Hause, um seine Familie zu unterstützen.

Foto: dpa/Privat

Seit Jahren schickt Eliete Ringuissai seiner Familie im südostafrikanischen Mosambik Geld. Mal 100 Euro, mal 200 Euro, „immer so nach Bedarf, wer gerade Probleme hat“. Der 57-Jährige verdient deutlich mehr als seine Verwandten in der Heimat. Seit 40 Jahren arbeitet er als Chemiefacharbeiter in Eilenburg in Sachsen, seine Verwandten leben in einem der ärmsten Länder der Welt. Doch die Corona-Krise hat all das verändert. „Es ist sehr schlimm“, sagt der Mosambikaner. Ob er seiner Familie weiter Geld schicken kann? „Ich weiß nicht, ob ich das schaffe.“

Wie Ringuissai unterstützen weltweit fast eine Milliarde Migranten ihre Familien in der Heimat mit sogenannten Rücküberweisungen. Im vergangenen Jahr wurde der Weltbank zufolge eine Rekordsumme von 554 Milliarden Dollar (rund 505 Milliarden Euro) geschickt, etwa dreimal so viel wie global in Entwicklungshilfe fließt. Doch wegen der Corona-Krise erwartet die Weltbank in diesem Jahr einen Einbruch um fast 20 Prozent - eine Katastrophe für Millionen von Menschen.

„Rücküberweisungen sind eine stabile Einkommensquelle und funktionieren auch wie eine Versicherung“, erklärt der Ökonom Dilip Ratha von der Weltbank, einer der führenden globalen Experten für Rücküberweisungen. Braucht eine Familie Geld, etwa für Schulgebühren oder einen Arztbesuch, so greift sie auf Verwandte im Ausland zurück.

Außerdem sind Ratha zufolge Rücküberweisungen genau auf die Bedürfnisse der Familien zugeschnitten, „wahrscheinlich mehr als Entwicklungshilfe oder ausländische Direktinvestition“. Jeder der bis zu 180 Millionen internationalen Migranten und rund 800 Millionen inländischen Migranten weltweit, der Geld nach Hause schickt, hilft demnach zwei bis drei Menschen.

Deutschland war 2017 nach Zahlen der Internationalen Organisation für Migration (IOM) weltweit mit 22,1 Milliarden Dollar das fünftwichtigste Ursprungsland für Rücküberweisungen. „Deutschland ist eines der Hauptzielländer der globalen Migration“, sagt der Volkswissenschaftler Panu Poutvaara. Das spiegele sich auch in diesen Zahlen wider. Poutvaara ist Mitglied im Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration und leitet die Migrationsforschung beim Münchner Ifo-Institut.

Bonner sendet Geld in die Heimat

Für Khalids Familie in Mogadischu ist das Geld, das er aus Bonn monatlich schickt, überlebenswichtig. Der 24-jährige Somalier will aus Sorge um seine Verwandten nur seinen Vornamen nennen. „Ich bin ihre Haupteinkommensquelle“, erklärt er. Mit seinem Geld würden seine Eltern und fünf Geschwister in dem Krisenland am Horn von Afrika die Miete und Schulgebühren bezahlen und Lebensmittel kaufen. „Wenn ich kein Geld schicke, befinden sie sich in einer sehr schwierigen Lage.“

Und das gilt nicht nur für einzelne Familien sondern für ganze Länder. Denn für etliche Staaten sind Rücküberweisungen ein wichtiger Wirtschaftszweig. In Somalia etwa machten diese Gelder 2019 laut des Internationalen Währungsfonds (IWF) 32 Prozent des Bruttoinlandprodukts aus. Aus Deutschland fließt viel Geld hingegen in die Nachbarschaft: 2017 gingen die größten Batzen laut der Denkfabrik Pew Research Centre nach Frankreich und Polen, gefolgt von Italien, Österreich, Tschechien, Spanien und Ungarn.

Die Corona-Krise hat diese „Lebensader“, wie Ökonom Ratha Rücküberweisungen nennt, schwer getroffen. Oft hätten Migranten die unsichersten Berufe und würden in einer Krise als erste ihre Jobs verlieren.

Der Mosambikaner Ringuissai, der einst als Vertragsarbeiter in die DDR kam, ist in seinem sächsischen Chemiewerk nun in Kurzarbeit. Er muss ganz genau auf sein Geld achten. „Wenn etwas übrig bleibt, schicke ich es, aber ich muss auch an mich denken“, sagt er. Auch das Logistikunternehmen in Bonn, für das Khalid arbeitet, leidet wegen der Pandemie. Der Somalier arbeitet daher nur Teilzeit. „Ich kann meine Familie nicht unterstützen“, sagt er.

Hinzu kommt, dass das Schicken von Geld derzeit schwer ist. Khalid benutzt meistens nach eigenen Angaben Geldtransferunternehmen, doch die Büros seien praktisch alle zu, erklärt Khalid. „Man konnte gar kein Geld schicken.“

Wie wichtig diese Überweisungen sind, weiß auch die Bundesregierung. „Die Corona-bedingten Einschränkungen machen es für Migranten schwer, Geld bar zu versenden“, sagte das Entwicklungsministerium. Deshalb fördere das Ministerium digitale Zahlungsmöglichkeiten, etwa in Jordanien. Zudem unterstützt das Ministerium die Website „Geldtransfair.de“, auf der Nutzer vor einer Überweisung vergleichen können, welche Kosten für ihr Zielland bei unterschiedlichen Anbietern fällig werden. Die Kosten „sollten so niedrig wie möglich sein, damit das Geld bei den Familien ankommt“, so das Ministerium.

Wenn die Rücküberweisungen ausbleiben, können die Folgen verheerend sein. „Familien stürzen in die Armut ab und leiden sogar unter Problemen, über die wir uns lange keine Sorgen gemacht haben, etwa Unterernährung und Hunger“, sagt Ökonom Ratha. Zwar verbessert sich langsam wegen der Corona-Lockerungen in Europa die Lage von Migranten. Doch Ratha zufolge besteht das Risiko, „dass sich Rücküberweisungen langsamer erholen als die Volkswirtschaften“. Reise-Einschränkungen, strengere Einwanderungspolitik und wachsende Diskriminierung ausländischer Arbeiter werden demnach womöglich der Corona-Krise folgen. Die Konsequenzen in Entwicklungsländern könnten noch jahrelang zu spüren sein.

(dpa)
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