Gastbeitrag von Alexander Graf Lambsdorff „Wir müssen uns voneinander fernhalten“

Exklusiv | Bonn · Der Bonner FDP-Abgeordnete Alexander Graf Lambsdorff schreibt über seine persönliche Erfahrung mit dem Coronavirus, über das, was jetzt getan werden muss und über die Lehren aus der Krise.

 Alexander Graf Lambsdorff.

Alexander Graf Lambsdorff.

Foto: picture alliance/dpa/Britta Pedersen

Das Coronavirus hat zu den größten Einschränkungen geführt, die wir hier am Rhein seit Kriegsende erleben mussten. Für die mittlere und jüngere Generation war so etwas bisher unvorstellbar. In Bonn und Umgebung sind Schulen, Universitäten, Museen, Sportvereine, Restaurants und Läden geschlossen, Konzerte und Gottesdienste dürfen nicht stattfinden, öffentliche Veranstaltungen sind abgesagt. Ich selber bin mit dem Virus in Quarantäne und hoffe, ihn zu besiegen. Als Bonner Bundestagsabgeordneter, der unsere Region lange im Europäischen Parlament vertreten hat, sind mir drei Dinge wichtig. Erstens müssen wir alles tun, um die Krankheit schnellstmöglich einzudämmen. Zweitens brauchen unsere Betriebe schnell und wirksam wirtschaftliche Hilfe. Und drittens werden wir eine weltweite Pandemie nur durch internationale Zusammenarbeit besiegen können.

Zum ersten Punkt: Die Eindämmung der Krankheit hat oberste Priorität. Als Gesellschaft müssen wir unsere schwächsten Mitglieder, die Älteren und Menschen mit Vorerkrankungen, schützen. Daher ist es richtig, dass Länder, Kommunen, der Bund und die EU Maßnahmen ergreifen, um die Ansteckungsgefahr zu reduzieren. Ebenso richtig ist, dass sowohl die Lage als auch die Wirksamkeit der Maßnahmen immer wieder neu bewertet werden. Die NRW-Landesregierung hat genau das getan, als sie beschlossen hat, Spiel- und Bolzplätze erst offen zu halten, das Verhalten von Kindern und Eltern nach den Maßstäben des Infektionsschutzes anzuschauen und sie dann doch schweren Herzens zu schließen.

„Es ist nicht die Zeit für Corona-Grillpartys in der Rheinaue“

Jeder Einzelne ist jetzt ganz unabhängig vom Lebensalter gefragt, Verantwortung zu übernehmen. Wir wissen oft gar nicht, dass wir das Virus in uns tragen, deswegen müssen wir uns voneinander fernhalten. Wir müssen Hilfe dort anbieten, wo sie nötig ist. Auch mir haben meine Nachbarn geholfen, als sie Einkäufe für mich erledigt haben. Wir müssen trotz des beginnenden Frühlings klar sagen, dass jetzt nicht die Zeit für Corona-Grillpartys in der Rheinaue ist. Arbeitgeber und Arbeitnehmer müssen flexibel sein, wenn es darum geht, möglichst viel Arbeit im Homeoffice zu machen und unnötige Wege zu vermeiden. Der Bundestag muss den Betrieb ohne Ansteckungsgefahr aufrechterhalten, um in dieser Woche alle Gesetze auf den Weg zu bringen, die die Behörden als Grundlage für ihre Hilfeleistungen brauchen. Mir ist dabei wichtig, dass die in der Krise notwendige Begrenzung unserer persönlichen Freiheit, zum Beispiel die Ausgangsbeschränkung, mit Augenmaß vorgenommen wird. Andernfalls schaffen wir Instrumente, die in Zukunft missbraucht werden können.

Auch in der Wirtschaftspolitik muss der Staat aktiv werden. Damit bin ich beim zweiten Punkt. Auch wenn die Ursachen völlig anders sind, werden die Folgen der Corona-Krise die der Finanzkrise von 2009 vermutlich in den Schatten stellen. Und da geht es nicht nur um große Konzerne wie die Lufthansa. Nein, es sind die Ladenbesitzer in der Innenstadt und den Stadtvierteln, die die Sommerkollektionen schon bezahlt haben, sie aber nicht verkaufen können. Restaurantbesitzer haben keine Einnahmen, müssen aber weiter für hohe Raummieten und Personalkosten aufkommen. Da sind Arbeitsplätze, Existenzen, Familien in finanzieller Gefahr.

 Das Coronavirus hat auch Bonn und die Region fest im Griff. Alexander Graf Lambsdorff spricht über seine Erfahrungen in Quarantäne.

Das Coronavirus hat auch Bonn und die Region fest im Griff. Alexander Graf Lambsdorff spricht über seine Erfahrungen in Quarantäne.

Foto: Benjamin Westhoff

„Nationale Maßnahmen reichen nicht“

Banken können helfen, aber sie finanzieren in der Regel nur Beschaffungen und Investitionen, keine laufenden Kosten. Die Bundesregierung muss deshalb jetzt die Zahlungsfähigkeit der Gewerbetreibenden sicherstellen und den Vorschlag der FDP für eine „Negative Gewinnsteuer“ aufgreifen. Wenn der Umsatz wegbricht, können die Finanzämter auf Grundlage der Steuerbescheide Geld an in Not geratene Betriebe auszahlen, anstatt Geld einzuziehen. Das muss sofort gemacht werden, denn Geschwindigkeit geht jetzt vor Genauigkeit. Später, wenn sich die Lage normalisiert hat, können die Auszahlungen dann genau verrechnet werden.

Um einer echten wirtschaftlichen Krise vorzubeugen, müssen zudem die Steuern rückwirkend für das wirtschaftlich gute Jahr 2019 gesenkt werden. Sonst gefährden wir das Wirtschaftswachstum des kommenden Jahres. Außerdem brauchen wir eine Aufstockung des Kurzarbeitergeldes für Betriebe und der Hartz-IV-Sätze für die wirtschaftlich Schwächsten. Denkbar sind auch eine Senkung der Einkommenssteuer oder kommunale Überbrückungskredite wie bei der Hochwasserkatastrophe in Bayern 2013. Das geht auch alles: Die EU-Kommission hat bereits verkündet, dass die Mitgliedsstaaten der EU dieses Jahr die Regeln für die Neuverschuldung reißen dürfen, um schnell zu helfen, auch in Deutschland sind die schwarze Null und die Maastricht-Kriterien kein Dogma.

Nationale Maßnahmen reichen aber nicht. Es ist eine Tatsache, dass wir die Krise verschlimmern, wenn wir nicht gemeinsame Antworten auf die medizinischen Herausforderungen und die wirtschaftlichen Probleme finden. Doch stattdessen nutzen manche Corona, um nationale Egoismen und Grenzschließungen durchzudrücken. Donald Trump versuchte, die deutsche Firma Curevac zu kaufen, die mit Hochdruck an einem Impfstoff arbeitet. Die polnische Regierung hat mit ihrer einseitigen Grenzschließung für massive Verkehrsproblemen auf deutscher Seite und lange Rückstaus beim Warentransport gesorgt. Für Kopfschütteln hat auf europäischer Ebene aber auch gesorgt, dass Deutschland anfangs die Ausfuhr dringend benötigter Atemmasken nach Italien verhindert hat. Gerade Länder wie Deutschland und NRW profitieren als starke Wirtschaftsstandorte von länderübergreifender Forschung und grenzüberschreitendem Warenverkehr. Gerade uns würde eine solche Politik der Abschottung und der nationalen Alleingänge deshalb hart treffen. Deswegen ist es auch gut, dass die Grenzen zu den Beneluxländern bisher weitestgehend offen sind.

„Wir werden Geduld und Phantasie brauchen“

Was in der Wirtschaft gilt, gilt in der Forschung erst recht: Wem es gelingt, ein Mittel gegen die Pandemie zu entwickeln, der soll belohnt werden, aber der soll es auch den großen Gesundheitsorganisationen zur Verfügung stellen, damit es weltumspannend eingesetzt werden kann. Corona ist eine Herausforderung für die ganze Menschheit, unsere Antwort darauf muss deshalb an Humanität, nicht an Nationalität orientiert sein. Die Weltgesundheitsorganisation muss der Anker dieser Zusammenarbeit sein.

Wir werden Geduld und Phantasie brauchen, bis es einen Impfstoff oder ein Medikament gibt. Dennoch ist Panik fehl am Platz. Das Virus bedeutet einen tiefen Einschnitt in unser Leben, aber es wird eine Zeit nach der Corona-Krise geben. Jetzt ist der Moment, um die Weichen für diese Zukunft bestmöglich zu stellen, menschlich, medizinisch und wirtschaftlich. Dabei sollten wir einander gute Nachbarn sein – als Menschen, als Völker und als Staaten.

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