Meinungsfreiheit im Internet Forderung von AKK kollidiert mit Netz und Gesetz

Berlin · Mit ihren Tweets hat Annegret Kramp-Karrenbauer eine Welle der Kritk hervorgerufen. Warum sich viele im Netz zu Recht über den Ruf der CDU-Vorsitzenden nach Regeln gegen "Meinungsmache" empören. Eine Analyse.

Misstrauen ist immer erste Bürgerpflicht, wenn ein führender Politiker die Meinungsfreiheit feiert - und darauf eine "aber"-Bemerkung folgen lässt. So wie CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer in ihrem Tweet vom Montagabend: "Meinungsfreiheit ist hohes Gut in der Demokratie. Worüber wir aber sprechen müssen, sind Regeln, die im Wahlkampf gelten." Zuvor hatte sie unterstrichen, es sei "absurd", ihr zu unterstellen, Meinungsäußerungen regulieren zu wollen. Doch diesen Verdacht hat sie selbst genährt.

Sie bezieht sich bei ihren Überlegungen über "Regeln" auf mehr als 90 Youtuber, die in einem millionenfach geklickten Video dazu aufriefen, CDU, CSU und SPD nicht zu wählen. Und sie zieht diese Influencer, also Akteure mit großem Einfluss im Internet, für einen aufschlussreichen Vergleich heran: "Was wäre in diesem Land los, wenn eine Reihe von, sagen wir, 70 Zeitungsredaktionen zwei Tage vor der Wahl erklärt hätten: Wir machen einen gemeinsamen Aufruf: Wählt bitte nicht CDU und SPD", sagte Kramp-Karrenbauer nach den Wahlanalysen in den CDU-Gremien. Und sie bewertete diesen hypothetischen Vorgang sogleich: "Das wäre klare Meinungsmache vor der Wahl gewesen."

Ein Blick in die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes führt zwangsläufig zu einem "Ja, und?!" Dann hätten sich eben 70 Zeitungsredaktionen zwei Tage vor der Wahl zu einer "klaren Meinungsmache" verabredet. Und natürlich wäre auch das von der Meinungsfreiheit in Deutschland gedeckt gewesen. Nur weil in Deutschland Redaktionen eher selten zum Mittel der Wahlempfehlung greifen, heißt das nicht, dass sie damit irgendwelchen geltenden Gesetzen oder ungeschriebenen Regeln folgen. Im angelsächsischen Bereich sind solche Wahlempfehlungen gang und gäbe. Und natürlich Ausdruck der Meinungsfreiheit. Diese steht laut Artikel 5 des Grundgesetzes jedem zu. Jeder kann seine Meinung in der Öffentlichkeit äußern, ob er einen Freund oder Fremden auf der Straße anspricht, ob er sie auf Twitter veröffentlicht und ob diese Meinung von fünf, 5000 oder fünf Millionen anderen wahrgenommen wird. Eine Zensur findet nicht statt, legt Artikel 5 mit Bezug auf die Medien fest. Ohne Einschränkung.

Die von Kramp-Karrenbauer als "absurd" gekennzeichnete Unterstellung, Meinungsäußerungen vor Wahlen "regulieren" zu wollen, gewinnt zusätzliche Nahrung, weil sie nicht alleine steht. Im Internet wurden bereits im Frühjahr die von Union und SPD in Brüssel mitgetragenen Uploadfilter zum Schutz des Urheberrechtes als Einfallstor für das Zensieren unbequemer Meinungen empfunden. Zuvor hatte Kramp-Karrenbauer auf den Ausschluss der Presse vom CDU-Werkstattgespräch verwiesen, gewürdigt, dass ihre Partei damit "Herr über die Bilder" gewesen und "die Nachrichten selbst produziert" habe und angekündigt: "In die Richtung wird es weitergehen."

Damit war eine Lunte entzündet, die nun zur Explosion geführt hat. Auch wenn der CDU-Vorsitzenden zugebilligt werden sollte, die Meinungsäußerung generell nicht gesetzlich einschränken zu wollen, so ist doch eine Kommunikationskatastrophe eingetreten. Sie offenbart ein unterentwickeltes Verständnis vom Funktionieren der sozialen Netzwerke.

Das Netz ist kein rechtsfreier Raum

Die Parteien waren es gewohnt, dass für die Medien bestimmte Regeln galten: Für Radio und Fernsehen der Rundfunkstaatsvertrag, wonach politische Werbung "unzulässig" ist (Paragraf 7, Absatz 9). Für die Zeitungen der Pressekodex, wonach es zur journalistischen Sorgfaltspflicht gerade in Wahlkampfzeiten gehört, auch über "Auffassungen" zu berichten, die sie selbst nicht teilen (Richtlinie 1.2). Einschränkungen der Meinungsfreiheit kennen aber auch diese Regelungen nicht.

Die Landesmedienanstalten sind vom Gesetzgeber verpflichtet, jeden noch so kleinen TV-Spartenkanal zu beaufsichtigen. Dagegen handelt es sich nach Auskunft der NRW-Landesanstalt für Medien "bei den meisten Youtube-Angeboten" ausdrücklich nicht um lizenzpflichtigen Rundfunk. Das liegt unter anderem daran, dass sie in der Regel nicht live senden und auch nicht "entlang eines Sendeplanes" tätig sind, sondern ihre Beiträge einzeln abgerufen werden. Wie weit gleichwohl Influencer mit Millionenpublikum rundfunkähnlich sind und welche Regeln für sie gelten, ist im Medienrecht umstritten. Deshalb mahnen die Medienanstalten schon seit Langem eine Klarstellung durch den Gesetzgeber an - bislang vergeblich.

Die Behörden schauen den Influencern gleichwohl auf die Finger. Natürlich ist das Netz kein rechtsfreier Raum. Bezahlte Werbung muss gekennzeichnet sein. Und Kinderpornografie gehört genauso wenig zur Meinungsfreiheit wie Rassenhass. Doch eines steht fest: "Meinungsmache" vor Wahlen einzuschränken, wäre sicherlich ein Verfassungsverstoß.

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