Olaf Scholz im Interview „Wir gehen in die Vollen“

Berlin · Der SPD-Finanzminister und Vizekanzler sprach am Mittwoch im Bundestag in Vertretung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU), die sich in häuslicher Quarantäne befindet. Das Parlament beschloss ein historisches Hilfspaket. Mit Scholz sprachen Birgit Marschall und Eva Quadbeck.

 „Größte wirtschaftliche Herausforderung in der Geschichte der Bundesrepublik“ - das sagt Olaf Scholz zur Corona-Krise.

„Größte wirtschaftliche Herausforderung in der Geschichte der Bundesrepublik“ - das sagt Olaf Scholz zur Corona-Krise.

Foto: dpa/Kay Nietfeld

Sie waren in den vergangenen Tagen erkältet. Wie viele Corona-Tests haben Sie schon hinter sich?

Olaf Scholz: Ich habe vergangene Woche einen Test gemacht. Als ich morgens mit einer Kratzstimme und Husten aufgewacht bin, war mir klar, dass ich das in dieser Phase niemandem zumuten kann – aufzutreten und andere spekulieren, ob ich eine Erkältung habe oder mit Covid-19 infiziert bin. Der Test war negativ. Seither kann ich weitermachen – und die Erkältung wird langsam besser.

Das beruhigt uns. Eine grundsätzliche Frage: Warum ist die Corona-Krise größer als die Finanzkrise vor gut zehn Jahren?

Scholz: Die Corona-Krise ist die größte wirtschaftliche Herausforderung in der Geschichte der Bundesrepublik. Anders als 2008/2009 haben alle Bereiche des sozialen und wirtschaftlichen Lebens zu kämpfen. Wir sind heute schicksalhaft mit einer Infektion konfrontiert, die alle Staaten, ja die gesamte Menschheit betrifft. Auch unser soziales Leben ist stark beeinträchtigt, weil die meisten Freizeitaktivitäten nicht mehr möglich sind. Das macht diese Herausforderung so groß.

Plötzlich ist Geld für alles da, der Staatshaushalt erscheint unerschöpflich. Wieso geht das alles auf einmal? Warum war vor der Krise nicht mehr Geld da, etwa für die Krankenhäuser?

Scholz: In dieser Krise geht es buchstäblich um Leben und Tod, so möchte ich es mal ausdrücken, dahinter muss jetzt alles andere zurückstehen. Unser Sozialstaat und unser Gesundheitssystem sind leistungsfähig. Wenn man sich in Europa umschaut, ist es eine beruhigende Nachricht, dass wir in Deutschland mehr als 28 000 Intensivbetten zur Verfügung haben. Die Corona-Pandemie stellt unser Gesundheitswesen nun vor große Herausforderungen – deshalb werden wir die Bettenkapazitäten noch einmal verdoppeln, um eine gute Versorgung von Schwerkranken sicherstellen zu können.

Der Bundestag hat heute auf einen Schlag die Neuverschuldung von Null auf über 150 Milliarden Euro hochgefahren. Wird Ihnen da nicht mulmig?

Scholz: Ja, mulmig wird mir, wenn ich an die Pandemie denken. Unsere Aufgabe ist es jetzt, die Gesundheit unserer Bürgerinnen und Bürger zu schützen und zugleich Unternehmen, Arbeitsplätze und Einkommen in dieser Krise zu sichern. Das erfordert große Summen. Genau für diesen Fall haben wir im Grundgesetz die Möglichkeit verankert, dass der Staat in solchen Notlagen über die Grenze der Schuldenregel hinaus Schulden aufnehmen darf, um kraftvoll handeln zu können.

Das dürfte noch lange nicht das Ende sein. Mit welchen Schulden rechnen Sie insgesamt?

Scholz: Zum jetzigen Zeitpunkt kann das niemand seriös sagen, weil ja unklar ist, wie diese Krise verlaufen wird. Wir müssen Schritt für Schritt vorgehen. Jetzt haben wir eine Kreditaufnahme von 156 Milliarden Euro auf den Weg gebracht, den Wirtschaftsstabilisierungsfonds mit einer Kreditermächtigung von 100 Milliarden Euro ausgestattet, Garantien für weitere 400 Milliarden Euro vorgesehen sowie zusätzliche 100 Milliarden Euro an Kreditermächtigung für die Staatsbank KfW. Damit werden wir eine Zeit lang zurechtkommen. Wir haben uns bewusst entschieden, gleich am Anfang ein starkes, entschlossenes Zeichen zu setzen, statt alle paar Wochen beim Bundestag zusätzliche Mittel zu beantragen.

Sie haben von der „Bazooka“ gesprochen. Diese Waffe zerschießt aber auch das Fundament der Zukunft. Die Schulden werden zu Lasten kommender Generationen gemacht. Wie begegnen Sie den Sorgen der Jüngeren?

Scholz: Die Jüngeren sorgen sich gerade vor allem um die Gesundheit und das Leben ihrer Eltern und Großeltern, würde ich sagen. Deshalb tragen sie all diese Entscheidungen zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger, der Wirtschaft und der Beschäftigung mit. Im Beschluss, die Ausnahmeklausel der Schuldenregel zu aktivieren, haben wir aber festgelegt, dass wir diese Schulden von 2023 an über 20 Jahre tilgen werden. Das ist zu stemmen.

Sie haben gesagt, Sie seien überzeugter Keynesianer. Warum war die schwarze Null, für die Deutschland kritisiert wurde, trotzdem richtig?

Scholz: Eben deswegen! Ich habe meinen John Maynard Keynes so verstanden, dass man in guten Zeiten für solide Finanzen sorgt, damit man in schlechten Zeiten alle Kraft hat, die notwendig ist. Genau das habe ich gemacht. Sonst könnten wir jetzt nicht so in die Vollen gehen.

Halten Sie daran fest, den Solidaritätszuschlag in Deutschland früher als bisher geplant, also schon zum 1. Juli, abzubauen?

Scholz: Dieser Vorschlag der SPD liegt auf dem Tisch, die Union hat ihn bisher aber abgelehnt.

Aber die Frage ist doch, ob man angesichts der hohen Staatsausgaben in der Corona-Krise am Ende nicht Steuererhöhungen braucht, gar einen Corona-Soli?

Scholz: Noch einmal: Erstmal muss unser Land, müssen die Bürgerinnen und Bürger heil durch diese Krise kommen. Wenn das Virus nicht mehr grassiert wie heute, werden wir überlegen müssen, ob ein gezieltes Konjunkturprogramm nötig ist, um die Belebung der Wirtschaft zu fördern.

Gibt es auch etwas Gutes an dieser Krise?

Scholz: Angesichts der gesundheitlichen Bedrohung so vieler Bürgerinnen und Bürger fällt es mir schwer, etwas Gutes darin zu erkennen. Ich hoffe aber, dass wir neu lernen, dass wir Menschen am besten durch eine Krise kommen, wenn wir solidarisch handeln und aufeinander aufpassen.

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