Offener Brief der Angehörigen Familie von totem Journalisten kritisiert Landesregierung

Düsseldorf · Nach Todesfall im Hambacher Forst: Hinterbliebene des von der Hängebrücke gestürzten Bloggers üben deutliche Kritik an NRW-Landesregierung und Innenminister Reul.

Menschen im Hambacher Forst gedenken an der Absturzstelle Steffen M. der vor fast zweieinhalb Monaten von einer Hängebrücke fiel und an seinen schweren Verletzungen starb. FOTO: DPA

Menschen im Hambacher Forst gedenken an der Absturzstelle Steffen M. der vor fast zweieinhalb Monaten von einer Hängebrücke fiel und an seinen schweren Verletzungen starb. FOTO: DPA

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Es ist fast zweieinhalb Monate her, dass Steffen M. bei einem Unglück im Hambacher Forst von einer Hängebrücke etwa 15 Meter tief in den Tod stürzte. Der junge Mann erlag noch am Unfallort seinen schweren Verletzungen. Der Student der Kölner Kunsthochschule für Medien war in eines der Baumhäuser geklettert, um die Räumungsarbeiten der Polizei von oben zu dokumentieren. Er sympathisierte mit den Baumhausbewohnern, teilte deren Einstellung eines ressourcenschonenden Lebens.

Nun haben sich die engsten Familienangehörigen mit einem offenen Brief an die Landesregierung gewandt. In dem zweiseitigen Schreiben, das unserer Redaktion von den Angehörigen für eine Berichterstattung zur Verfügung gestellt worden ist, bringen sie ihre Gefühle und Trauer zum Ausdruck. Ihr Schmerz sei unermesslich. „Warum wir uns nun öffentlich dazu äußern, hängt damit zusammen, dass Aussagen von Landespolitikern und das Verhalten von Behörden unsere Trauer und unseren Schmerz verstärkt haben. Und wir möchten nicht stehen lassen, was im Zusammenhang mit Steffens Tod von Seiten der Landesregierung veröffentlicht wurde“, heißt es in dem Brief.

Die Familie macht der Polizei wie auch der Landesregierung eine Reihe von Vorwürfen. Sie kritisiert, dass sie erst viele Stunden nach Steffens Tod darüber von der Polizei informiert worden sei, obwohl die Freunde des jungen Mannes sie schon vorher in Kenntnis gesetzt hätten, dass Steffen wohl tödlich verunglückt sei – und über seine Identität durch seine mitgeführte Papiere kein Zweifel bestehen konnte. Es seien quälende Stunden gewesen, „während wir Angehörige die Hoffnung hatten, dass er vielleicht noch lebt“. Dann sei gegen den Willen der Eltern eine Obduktion des Leichnams durchgeführt worden, wofür die Angehörigen kein Verständnis haben. Schließlich, argumentieren sie, zeigte die Rundum-Helmkamera, die Steffen trug, „und die polizeiliche Untersuchung ganz klar, dass keine Fremdeinwirkung stattgefunden hatte“. Besonders gegen NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) erheben die Angehörigen schwere Vorwürfe. „Unerträglich empfinden wir die für uns aus der Luft gegriffen Schuldzuweisungen des Innenministers Reul, dass die Erbauer der Hängebrücke Schuld an Steffens Tod seien. Auch seine Behauptung, Aktivisten hätten hämische Bemerkungen über seinen Tod gemacht, stellt eine unerhörte und nachweislich falsche Aussage dar. Wir empfinden, dass der Innenminister den Tod Steffens benutzt, um gegen die Baumhausbewohner zu hetzen. Selbst Wochen nach dem Ereignis wiederholt er diese Aussagen trotz inzwischen klarer Beweislage, dass diese Behauptungen nicht der Wahrheit entsprechen“, kritisieren die Angehörigen. Damit, sagen sie, würde Reul Steffens Tod für seine eigenen Zwecke instrumentalisieren. Das löse Empörung und Wut bei ihnen aus und würde sie nicht zur Ruhe kommen lassen. Auch die Behauptung, es habe in der Nähe des Unfallortes keinen Polizeieinsatz gegeben, habe sich als unwahr entpuppt. „Herr Innenminister Reul, unterlassen Sie bitte dieses unwürdige Verhalten und gönnen Sie der Familie und Freunden von Steffen M. endlich Ruhe von Ihren unqualifizierten Äußerungen“, schreiben sie.

Herbert Reul erklärte, dass er allergrößtes Verständnis für die tiefe Trauer und vielleicht auch Hilflosigkeit der Familie habe. „Mich hat der viel zu frühe Tod dieses jungen Mannes selbst sehr betroffen gemacht. Deshalb habe ich unmittelbar nach dem schrecklichen Todesfall den persönlichen Kontakt zu der Familie gesucht und auch gefunden“, sagte Reul. Aus diesem Grund möchte er auf diesen offenen Brief nicht so reagieren, wie man das sonst im politischen Geschäft machen würde – und angesichts der gegen ihn persönlich erhobenen Vorwürfe vielleicht auch tun müsste. „Ich empfinde nach wie vor tiefes Mitgefühl und bin in meinen Gedanken bei der Familie des Toten“, betonte Reul. Im Zusammenhang mit dem tödlichen Unfall hatte der Innenminister seine früheren Angaben zu pietätlosen Aussagen von Baumhausbewohnern bereits relativiert.

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