Interview mit Norbert Röttgen "Es geht um die Glaubwürdigkeit"

BERLIN · Bundeskanzlerin Angela Merkel steht auf dem heute in Köln beginnenden Bundesparteitag der CDU vor ihrer Wiederwahl als Parteivorsitzende. Mit dem früheren nordrhein-westfälischen Landesvorsitzenden Norbert Röttgen sprachen Bernd Eyermann und Ulrich Lüke über die wichtigsten Themen des Kölner Treffens.

Ist es ein Problem der CDU, dass hinter Angela Merkel derzeit nicht viel kommt?
Norbert Röttgen: Da widerspreche ich. Es gibt viel Potenzial in der CDU, und wir können es noch viel sichtbarer machen. Das werden wir auf dem Parteitag auch tun.

Wie erklären Sie sich, dass die große Koalition im Wesentlichen SPD-Themen abarbeitet, die Union in der Wählergunst aber völlig unangefochten auf Platz eins liegt.
Röttgen: Das liegt erstens daran, dass die CDU diese Koalition führt. Außerdem sind 2014 erstmals nach Kriegsende außenpolitische Themen für die Bürger wichtiger als innenpolitische. Und gerade in der Außenpolitik ist die Bundeskanzlerin die Vertrauensperson im In- und Ausland.

Früher hat die CDU mal mit dem Slogan "Auf den Kanzler kommt es an" geworben.
Röttgen: In der Nachkriegsgeschichte der Bundesrepublik kam es immer in besonderer Weise auf den Kanzler an. Aber die CDU als Partei hat natürlich auch einen Anspruch, der darüber hinausgeht.

Wie groß ist Ihre Sorge über Putins Politik? Ist der Westen zu nachgiebig, zu geschichtslos?
Röttgen: Die Situation, die von Putin ausgeht, halte ich für sehr, sehr ernst. Putin führt sein Land in die Sackgasse, und ich glaube, er weiß nicht, wie er herauskommt. Das ist bedrohlich. Es kommt jetzt auf die Einheitlichkeit Europas und des Westens an. Ich plädiere deshalb nicht für eine neue Ostpolitik, sondern für eine neue Westpolitik, um auf die unterschiedlichen Krisen im Osten (Russland/Ukraine) und im Süden (Syrien/Irak/IS) eine Antwort zu geben. Jetzt geht es darum, Europa neu zu formen.

Hat der Westen mitverursacht, dass Putin in diese Sackgasse geraten ist?
Röttgen: Nein. Putin hat sich und sein Land durch die Verletzung elementarer Regeln der europäischen Friedensordnung in diese Isolation geführt. Klar ist, dass auch die Europäische Union Fehler gemacht hat, aber die rechtfertigen nichts von dem, was Putin gemacht hat.

Die Steuereinnahmen sprudeln ungehemmt, trotzdem bleibt es beim Solidaritätszuschlag. Ist das sozial?
Röttgen: Es geht hier um das Gebot der Glaubwürdigkeit. Der Soli wurde begründet als eine besondere Solidaranstrengung der Deutschen für die damals noch neuen Bundesländer. Wenn das Sonderopfer Soli sein erfolgreiches Ende gefunden hat, der Zweck also erfüllt ist, die Politik auf die Einnahmen aber nicht verzichten will, dann muss sie das neu begründen. Das Sonderopfer einfach zu verlängern und für andere Zwecke zu nutzen, würde ich für nicht glaubwürdig halten.

Sie sind also für die Abschaffung des Soli und in der Konsequenz für formal Steuererhöhungen?
Röttgen: Ich bin für die Abschaffung des Soli, wenn sein Zweck erfüllt ist. Wenn gesagt wird, als Staat brauchen wir die Einnahmen, dann muss das begründet und beschlossen werden.

Stehen Sie auch auf Seiten derer, die sagen, es muss etwas gegen die kalte Progression getan werden?
Röttgen: Um zu gewährleisten, dass das, was wir an wirtschaftlicher Entwicklung haben, auch bei der Mehrzahl der Steuerzahler ankommt, halte ich die Abschaffung der kalten Progression, mit Datum versehen, für notwendig.

Mit welchem Datum soll der Beschluss versehen werden?
Röttgen: Ein klares Datum in naher Zukunft wird man finden.

Es scheint, als würden die Kanzlerin und der Wirtschaftsminister an der Energiewende verzweifeln. Können Sie das nachvollziehen?
Röttgen: Die Beobachtung kann ich nicht bestätigen, die Energiewende ist ein Generationenprojekt, an dem wir unbedingt festhalten sollten. Klar, es sind Milliarden-Investitionen notwendig für eine neue Stromversorgung, die klimaverträglich ist und auf modernen Technologien beruht. Aber sie ist damit ein Beispiel, wie man den wachsenden gigantischen Energie- und Ressourcenhunger ökologisch vertretbar befriedigen kann - und dass mit einer Signalwirkung, die weit über Deutschland hinausreicht.

Wie beurteilen Sie, dass der thüringische CDU-Fraktionschef Mike Mohring offensiv auf die AfD zugegangen ist? Was heißt das für die ganze CDU?
Röttgen: Ich weiß nicht, was dort gelaufen ist. Ich weiß nur, dass sich die CDU niemals auf eine Kooperation oder irgendeine Form von Unterstützung durch die populistische AfD einlassen darf.

Welche Strategie sollte die CDU gegen die AfD an den Tag legen?
Röttgen: An die Verantwortung und Vernunft der Bürger zu appellieren, dass Populisten immer nur Ängste und Probleme schüren, aber noch nie ein einziges Problem gelöst haben.

Zur Person

Norbert Röttgen galt lange als politischer Vertrauter von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Nach der Wahl 2009 berief Merkel den promovierten Juristen aus dem Rhein-Sieg-Kreis zum Bundesumweltminister. Nach der schweren CDU-Wahlniederlage bei der Landtagswahl 2012 in NRW verweigerte Röttgen einen Rücktritt, worauf Merkel ihn wenig später entließ. Seit dieser Legislaturperiode ist Röttgen nun Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages.

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