Grenze zu Syrien Erdogans Truppen bereiten sich auf Einmarsch vor

Türkei · An der Grenze zu Syrien bereiten sich Erdogans Truppen auf den Einmarsch in das Nachbarland vor. Auch Trump dürfte sie nicht mehr aufhalten können.

Ein Soldat des türkischen Militärs lotst einen Soldaten in einem Panzer an der Grenze zu Syrien.

Ein Soldat des türkischen Militärs lotst einen Soldaten in einem Panzer an der Grenze zu Syrien.

Foto: dpa/Lefteris Pitarakis

Die Abendsonne liegt über den Baumwollfeldern rings um Akcakale, einer türkischen Kleinstadt an der Grenze zu Syrien. Bäuerinnen mit bunten Kopftüchern pflücken die weißen Büschel von den Stauden; halbnackte Kinder spielen an der Schotterstraße. Ruhe und Frieden liegen über dem Land - und enden wie der Schotterweg jäh an frisch aufgewühlten Erdhügeln mitten in den Feldern.

Ein Kanonenrohr ragt aus dem Erdreich hervor, ein Wachposten in Tarnfarben hebt den Arm. Die Bauern werden nicht mehr viel Zeit haben, ihre Ernte einzubringen. Hier gräbt sich die türkische Armee ein für den geplanten Einmarsch nach Syrien.

"Aufnahmen sind hier nicht erlaubt, sagt mein Kommandant", erklärt der Soldat. Eine Haubitze und mehrere Schützenpanzer sind bereits eingegraben, ein halbes Dutzend Mannschaftsunterkünfte in Zelten aufgeschlagen; die Erde ist auf etwa der Fläche eines Fußballfeldes aufgewühlt und zu Hügeln aufgeworfen, in Tarnfarben gestrichene Bagger stehen bereit, um weiter zu graben. Ein Hund begleitet einen Soldaten - das Grenzgebiet ist noch vermint. Und rings um die Kriegsvorbereitungen geht die Baumwollernte weiter.

Weitere Waffenlieferungen

Über mindestens 100 Kilometer entlang der Grenze hat die türkische Armee ihre Truppen in Stellung gebracht. Die Vorbereitungen seien abgeschlossen, teilt das Verteidigungsministerium mit. Nach unbestätigten Berichten eröffnet die türkische Artillerie nachts bei der Stadt Ceylanpinar weiter östlich das Feuer auf Stellungen der Kurdenmiliz YPG auf der syrischen Seite. Die YPG ist das Hauptziel des geplanten türkischen Einmarsches. Die Kurdenmiliz, ein Ableger der Terrororganisation PKK, hat mit den USA gegen den Islamischen Staat gekämpft und dafür amerikanischen Schutz zum Aufbau eines Autonomiegebietes in Nordost-Syrien erhalten. Ankara betrachtet das Gebiet als "Terrorkorridor", der zerstört werden muss, USA hin oder her.

Regierungsnahe Medien in der Türkei wollen schon erfahren haben, wie das geschehen soll: Zunächst will die türkische Armee die YPG-Kämpfer mit Artilleriebeschuss und Angriffen aus der Luft aus dem Grenzgebiet zurückdrängen. Anschließend sieht die Planung Vorstöße türkischer Elitetruppen und pro-türkischer Kämpfer syrischer Rebellengruppen vor.

Ein Spaziergang dürfte der Feldzug für die türkischen Soldaten und die verbündeten syrischen Kämpfer aber nicht werden. Die YPG verfügt über ausgebildete Einheiten mit guter Ausrüstung und langer Kampferfahrung. Die amerikanischen Waffenlieferungen an die kurdische Miliz sollen bis in die vergangenen Tage hinein weitergegangen sein.

Grenze ist keine 100 Jahre alt

Im Zentrum von Akcakale haben sich Einwohner am geschlossenen Grenzübergang versammelt, um ins syrische Tel Abiad zu spähen. "Sieh mal, dort drüben stehen sie auch und gucken, genau wie wir", sagt ein Mann im Kaftan und weist auf mehrere winzige Gestalten hin, die auf einem Dach jenseits der Grenze zu sehen sind. "Die warten auch, was nun geschehen wird." Am Morgen sollen die Amerikaner aus Tel Abiad abgezogen sein, hat er gehört; jederzeit könne es nun losgehen mit dem türkischen Einmarsch.

An der Mauer laufen Schienen entlang, auf einem Gleis steht ein uralter Waggon aus Holz. Kommt man zu nahe an die Gleise, treten zwei Soldaten hervor und lassen die Sicherungen an ihren Sturmgewehren klicken. Die Schienen gehören zur Bagdadbahn, die deutsche Banken und Bauherren zu Beginn des 20. Jahrhunderts hier gebaut haben.

Von Berlin nach Bagdad sollte die Trasse reichen und dem Kaiserreich via Basra den Zugang zum Persischen Golf eröffnen. Die Bahn fährt nicht mehr, doch ihre Gleise markieren noch immer die Grenze zwischen der Türkei und Syrien - eine Erinnerung, dass auch Deutschland nicht frei von Verantwortung für die Verwerfungen in der Region ist.

Keine 100 Jahre alt ist diese Grenze, sagt Ibrahim, ein Mittvierziger, der in Akcakale mit Gebetsketten handelt. Viele Menschen auf beiden Seiten der Grenze sind verwandt. Deshalb handelt es sich bei vielen der 50 000 Flüchtlinge in Akcakale um Angehörige aus Tel Abiad, die seit Kriegsausbruch über die Grenze gekommen sind und von ihren türkischen Angehörigen aufgenommen wurden.

Allein Ibrahim hat mehr als 20 Onkel und Vettern aus Syrien, die jetzt mit ihren Familien hier sind. Die türkischen Verwandten haben ihnen geholfen, Fuß zu fassen, der türkische Staat ebenfalls, erzählt Ibrahim. Was könne man auch anderes tun, sagt er: "Es ist ein Gebot der Menschlichkeit." Dem bevorstehenden Einmarsch sehen die meisten Einwohner von Akcakale gleichmütig entgegen, anders als in mehrheitlich kurdischen Städten der Region. Die Kleinstadt ist überwiegend von der arabisch-stämmigen Minderheit der Türkei bewohnt. Begeistert sind sie aber auch nicht: Der schlechteste Frieden sei einem Krieg vorzuziehen, sagt Automechaniker Mehmet. Noch bevor der erste Schuss gefallen ist, gibt es den ersten Kollateralschaden der geplanten Syrien-Intervention: die türkisch-amerikanischen Beziehungen. Schon seit Monaten knirschte es zwischen den beiden Partnern wegen der amerikanischen Unterstützung für die YPG, doch nun sind die Differenzen so eskaliert, dass der Schaden irreparabel sein könnte.

Krieg fast unausweichlich

Die USA haben den Nato-Partner Türkei inzwischen sogar von der gemeinsamen Überwachung des syrischen Luftraums ausgeschlossen. Damit wollen die US-Militärs den erwarteten türkischen Angriff auf die YPG erschweren.

Dabei hatte US-Präsident Donald Trump gegenüber seinem türkischen Kollegen Recep Tayyip Erdogan zunächst noch das Einverständnis Amerikas zum Einmarsch signalisiert und US-Elitesoldaten in Syrien abziehen lassen. Doch als Trumps Entscheidung in den USA als Verrat an den kurdischen Verbündeten kritisiert wurde, drohte der Präsident dem türkischen Nato-Partner, er werde dessen Wirtschaft "total zerstören", wenn sich Ankaras Truppen in Syrien "unmenschlich" verhalten sollten.

Frechheit, entgegnete die türkische Regierungspresse - und selbst Erdogans Widersacher rufen den Präsidenten auf, trotz Trumps Drohungen an den Interventionsplänen festzuhalten. Jetzt müsse der Einmarsch erst recht durchgezogen werden, fordert die nationalistische Politikerin Meral Aksener. Selbst wenn er wollte, kann Erdogan wohl kaum noch zurück. So kommt der Krieg fast unausweichlich nach Akcakale.

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